Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 389

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fügt, die politische Demokratisierung des Staates, das sind die Mittel der allmählichen Einführung des Sozialismus.

Um bei den Gewerkschaften anzufangen, so besteht ihre wichtigste Funktion – und niemand hat es besser dargetan als Bernstein selbst vor sieben Jahren[1] in der „Neuen Zeit“[2] – darin, daß sie auf seiten der Arbeiter das Mittel sind, das kapitalistische Lohngesetz, d. h. den Verkauf der Arbeitskraft nach ihrem jeweiligen Marktpreis, zu verwirklichen. Worin die Gewerkschaften dem Proletariat dienen, ist, die in jedem Zeitpunkte gegebenen Konjunkturen des Marktes für sich auszunutzen. Diese Konjunkturen selbst aber, d. h. einerseits die von dem Produktionsstand bedingte Nachfrage nach Arbeitskraft, andererseits das durch Proletarisierung[3] und natürliche Fortpflanzung geschaffene Angebot der Arbeitskraft[4], endlich auch der jeweilige Grad der Produktivität der Arbeit, liegen außerhalb der Einwirkungssphäre der Gewerkschaften. Sie können deshalb das Lohngesetz nicht umstürzen; sie können im besten Falle die kapitalistische Ausbeutung in die jeweilig „normalen“ Schranken weisen, keineswegs aber die Ausbeutung selbst stufenweise aufheben.

Konrad Schmidt nennt freilich die jetzige gewerkschaftliche Bewegung „schwächliche Anfangsstadien“ und verspricht sich von der Zukunft, daß „das Gewerkschaftswesen auf die Regulierung der Produktion selbst einen immer steigenden Einfluß gewinnt“. Unter der Regulierung der Produktion kann man aber nur zweierlei verstehen: die Einmischung in die technische Seite des Produktionsprozesses und zweitens die Bestimmung des Umfangs der Produktion selbst. Welcher Natur kann in diesen beiden Fragen die Einwirkung der Gewerkschaften sein? Es ist klar, daß, was die Technik der Produktion betrifft, das Interesse des [einzelnen] Kapitalisten mit dem Fortschritt und der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft vollkommen[5] zusammenfällt. Es ist die eigene Not, die ihn zu technischen Verbesserungen anspornt. Die Stellung des einzelnen Arbeiters hingegen ist gerade entgegengesetzt: Jede technische Umwälzung widerstreitet den Interessen der direkt dadurch berührten Arbeiter und verschlechtert ihre unmittelbare Lage, indem sie die Arbeitskraft entwertet[6]. Insofern sich die Gewerkschaft in die technische Seite der Produktion einmischen kann,

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[1] 2. Auflage: selbst im Jahre 1891.

[2] Eduard Bernstein: Zur Frage des ehernen Lohngesetzes. VI. Schlußfolgerungen. In: Die Neue Zeit (Stuttgart), 9. Jg. 1890/91, Erster Band, S. 600–605.

[3] 2. Auflage: eingefügt „der Mittelschichten“.

[4] 2. Auflage: eingefügt „der Arbeiterklasse“.

[5] 2. Auflage: in gewissen Grenzen.

[6] 2. Auflage: eingefügt „ , die Arbeit intensiver, eintöniger, qualvoller macht“.