Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 393

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keit der einmaligen plötzlichen Expropriation der Produktionsmittel macht sich Konrad Schmidt eine Theorie der stufenweisen Enteignung zurecht. Hierfür konstruiert er sich als notwendige Voraussetzung eine Zersplitterung des Eigentumsrechts in ein „Obereigentum“, das er der „Gesellschaft“ zuweist und das er immer mehr ausgedehnt wissen will, und ein Nutznießrecht, das in den Händen des Kapitalisten immer mehr zur bloßen Verwaltung[1] zusammenschrumpft. Nun ist diese Konstruktion entweder ein harmloses Wortspiel, bei dem nichts Wichtiges weiter gedacht wurde. Dann bleibt die Theorie der allmählichen Expropriation ohne alle Deckung. Oder es ist ein ernstgemeintes Schema der rechtlichen Entwicklung. Dann ist es aber völlig verkehrt. Die Zersplitterung der im Eigentumsrecht liegenden verschiedenen Befugnisse, zu der Konrad Schmidt für seine „stufenweise Expropriation“ des Kapitals Zuflucht nimmt, ist charakteristisch für die feudalnaturalwirtschaftliche Gesellschaft, in der die Verteilung des Produkts unter die verschiedenen Gesellschaftsklassen in Natura und auf Grund persönlicher Beziehungen[2] vor sich ging. Der Zerfall des Eigentums in verschiedene Segmente[3] war hier die im voraus gegebene Organisation der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Mit dem Übergang zur Warenproduktion und der Auflösung aller persönlichen Bande zwischen den einzelnen Teilnehmern des Produktionsprozesses befestigte sich umgekehrt das Verhältnis zwischen Mensch und Sache – das Privateigentum. Indem die Verteilung sich nicht mehr durch persönliche Beziehungen, sondern durch den Austausch vollzieht, messen sich verschiedene Anteilansprüche an dem gesellschaftlichen Reichtum nicht in Splittern des Eigentumsrechts an einem gemeinsamen Objekt, sondern in dem von jedermann zu Markte gebrachten Wert. Der erste Umschwung in rechtlichen Beziehungen, der das Aufkommen der Warenproduktion in den städtischen Kommunen des Mittelalters begleitete, war auch die Ausbildung im Schoße der feudalen Rechtsverhältnisse mit geteiltem Eigentum des absoluten geschlossenen Privateigentums. In der kapitalistischen Produktion setzt sich aber diese Entwicklung weiter durch[4]. Je mehr der Produktionsprozeß vergesellschaftet wird, um so mehr beruht der Verteilungsprozeß auf reinem Austausch und um so unantastbarer und geschlossener wird das[5] Privateigentum[6]. Solange der Kapitalist selbst die Fabrik leitet,

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[1] 2. Auflage: eingefügt „seines Betriebes“.

[2] 2. Auflage: eingefügt „zwischen den Feudalherren und ihren Untergebenen“.

[3] 2. Auflage: verschiedene Teilrechte.

[4] 2. Auflage: fort.

[5] 2. Auflage: eingefügt „kapitalistische“.

[6] 2. Auflage: eingefügt „… um so mehr schlägt das Kapitaleigentum aus einem Recht auf das Produkt der eigenen Arbeit in reines Aneignungsrecht gegenüber fremder Arbeit um“.