Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 385

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bildung, wie Engels es in dem „Anti-Dühring“ und Marx im[1] 3. Band des „Kapitals“ gegeben haben, trifft auf die bisherigen Krisen nur insofern zu, als es den inneren Mechanismus aller Krisen und deren tiefliegende allgemeine Ursachen[2] aufdeckt[3]. [In seinem Ganzen paßt aber dieses Schema vielmehr auf eine vollkommen entwickelte kapitalistische Wirtschaft, wo der Weltmarkt als etwas bereits Gegebenes vorausgesetzt wird. Nur dann können sich die Krisen aus der inneren, eigenen Bewegung des Produktions- und Austauschprozesses auf jene mechanische Weise, ohne den äußeren Anlaß einer plötzlichen Erschütterung in den Produktions- oder Marktverhältnissen wiederholen, wie es von der Marxschen Analyse angenommen wird. Wenn wir uns nun die heutige ökonomische Lage vergegenwärtigen, so müssen wir jedenfalls zugeben, daß wir noch nicht in jene Phase vollkommener kapitalistischer Reife getreten sind, die bei dem Marxschen Schema der Krisenperiodizität vorausgesetzt wird. Der Weltmarkt ist immer noch in der Ausbildung begriffen. Deutschland und Österreich traten erst in den 70er Jahren in die Phase der eigentlichen großindustriellen Produktion, Rußland erst in den 80er Jahren, Frankreich ist bis jetzt noch zum großen Teil kleingewerblich, die Balkanstaaten haben noch zum beträchtlichen Teil nicht einmal die Fesseln der Naturalwirtschaft abgestreift, erst in den 80er Jahren sind Amerika, Australien und Afrika in einen regen und regelmäßigen Warenverkehr mit Europa getreten. Wenn wir deshalb einerseits die plötzlichen sprungweisen Erschließungen neuer Gebiete der kapitalistischen Wirtschaft, wie sie bis zu den 70er Jahren periodisch auftraten und die bisherigen Krisen, sozusagen die Jugendkrisen, im Gefolge hatten, bereits hinter uns haben, so sind wir andererseits noch nicht bis zu jenem Grade der Ausbildung und der Erschöpfung des Weltmarkts vorgeschritten, der einen fatalen periodischen Anprall der Produktivkräfte an die Marktschranken, die wirklichen kapitalistischen Alterskrisen, erzeugen würde. Wir befinden uns in einer Phase, wo die Krisen nicht mehr das Aufkommen des Kapitalismus und noch nicht seinen Untergang begleiten. Diese Übergangsperiode charakterisiert sich auch durch den seit etwa zwei Jahrzehnten anhaltenden durchschnitt-

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[1] 2. Auflage: eingefügt „1. und“.

[2] 2. Auflage: auf alle Krisen insofern zu, als es ihren inneren Mechanismus und ihre tiefliegenden allgemeinen Ursachen.

[3] 2. Auflage: eingefügt „ ,mögen sich diese Krisen alle 10, alle 5 oder abwechselnd alle 20 und alle 8 Jahre wiederholen. Was aber die Bernsteinsche Theorie am schlagendsten ihrer Unzulänglichkeit überführt, ist die Tatsache, daß die jüngste Krise im Jahre 1907/08 am heftigsten gerade in jenem Lande wütete, wo die famosen kapitalistischen ‚Anpassungsmittel‘: der Kredit, der Nachrichtendienst und die Trusts, am meisten ausgebildet sind“.