Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 350

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Handelsflotte, sondern auch in der Kriegsflotte aller Staaten das Segelschiff die herrschende Form. Dann, als die Vervollkommnung der Dampfmaschinen und -kessel die Möglichkeit gewährt hatte, auch den Schiffen eine größere Schnelligkeit des Laufes zu geben, wurde das Segel immer mehr durch den Dampf verdrängt. Am entschiedensten verfuhr auch hierin England: Es schaffte fast binnen einem Jahre in seiner ganzen Kriegsflotte die Segel ab. Frankreich hat sich erst zum gemischten Segel- und Dampfsystem entscheiden können, und in Rußland zeigt sich erst seit 1891 eine starke Tendenz zur Anwendung des Dampfmotors auf Kriegsschiffen. Das letzte Jahr des Schiffsbaues hat dem Segelschiff auf den englischen Werften endgültig Valet gesagt. Während in Frankreich noch gegenwärtig Segelschiffe mit 63 000 Tonnen im Bau begriffen sind, wurden in England 1898 im ganzen nur 17 solcher Fahrzeuge mit 4 253 Tonnen Gehalt, d. h. kaum 0,3 Prozent der gesamten Schiffstonnen, gebaut. In ganz Schottland, wo noch gerade in den letzten Jahren so viele große Segelschiffe gebaut wurden, ist 1898 ein einziges bestellt worden. Und von den fast 11/4 Millionen augenblicklich in England im Bau begriffenen Schiffstonnen entfallen bloß 2 790 Tonnen auf Segelschiffe.

Der Übergang vom Segel zum Dampf bedeutet zunächst bloß eine Ersparnis im Raumgehalt des Schiffes und eine Beschleunigung des Laufes, was am Ende wieder auf eine Konzentration des Transports hinausläuft. Auf der anderen Seite bewirkt aber diese technische Umwälzung einen durchgreifenden Umschwung auch im Dienstpersonal der Flotte. Der Dienst auf einem Segelschiff ist ein ganz anderer als auf dem Dampfschiff: Er stellt an die Mannschaft Anforderungen in bezug auf körperliche Kraft und Gewandtheit, Ausdauer, Unerschrockenheit, Hingebung, die der Dienst auf einem Dampfschiff nicht kennt. Der Typus des Matrosen hier und dort ist ein grundverschiedener: Das Segelschiff hat einen Berufsseemann mit seiner ausgeprägten Charakterphysiognomie geschaffen, das Dampfschiff reduziert ihn auf einen gewöhnlichen Durchschnittsarbeiter oder -angestellten, der den Seedienst ebensogut wie jeden anderen verwandter Natur verrichtet. Diese physisch-moralische Spezialisierung des Dienstpersonals in der Segelflotte ist es auch, die ihr noch jetzt die Hauptverteidiger erwirbt. So zum Beispiel in Rußland, wo man vorzugsweise mit dem Beweisgrunde der sittlichen Tüchtigkeit des Matrosen gegen die Dampfkriegsschiffe kämpft, wie auch in Deutschland, wo erst neulich ein Schwärmer für alte gute Zeit in einer unserer Marinezeitschriften heiße Tränen über das Aussterben des Typus des alten „Seewolfs“ vergoß und zur Pflege dieser Blüte der Segelschiffahrt unter der nord-

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