Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 35

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und zugleich in ihr zu verbleiben oder, was auf dasselbe hinausgeht, einen Delegierten zum Kongreß einer Partei zu schicken, der man nicht angehört. Auf dem Frankfurter Parteitag[1] waren denn auch die polnischen Sozialisten nicht mehr vertreten. Zum Breslauer Parteitag[2] haben sie wieder beschlossen, einen Genossen mit einem Bericht über die polnische Bewegung abzusenden, ob in der Eigenschaft eines Delegierten, ist aus dem Beschluß nicht zu ersehen. Jedoch vermißten wir in dem Protokoll des letzten Parteitags ebenso den polnischen Bericht wie den Genossen, der, sei es als Delegierter, sei es als Gast, die polnische Organisation als solche vertreten sollte. Und wäre es auch möglich, in den gegebenen Verhältnissen sich durch einen Delegierten vertreten zu lassen – was selbstverständlich jedem Begriff über Parteiorganisation widersprechen würde –, so bleibt dennoch die Frage offen: Welchen Sinn hätte eine solche Vertretung? Erachten die polnischen Genossen die Beschlüsse der deutschen Parteitage als auch für sie bindend, so ist es unbegreiflich, warum sie auf ihr Recht auf tätige Mitwirkung bei denselben ebenso wie auf die Unterstützung seitens der deutschen Partei durch ihren Austritt aus der letzteren verzichtet haben. Sind aber diese Beschlüsse für sie nicht maßgebend, dann ist auch die Vertretung an dem deutschen Parteitag offenbar nur eine leere Formalität.

Die polnischen Genossen in Deutschland empfinden also wohl die Notwendigkeit, sich der deutschen Bewegung anzuschließen, es sind aber eben die gekennzeichneten Schwankungen in der politischen Stellung, die sie daran verhindern und verhindern werden, für ihre Beziehungen zur deutschen Partei die entsprechende Organisationsform zu finden oder, besser gesagt, wiederzufinden.

In eine sehr ähnliche Lage müssen bald auch die galizischen Sozialisten geraten. Der letzte österreichische Parteitag[3] hat einstimmig konstatiert – und das bildet gerade den Grundton seiner Verhandlungen –, daß die Partei angesichts der bevorstehenden Wahlreform in eine neue Epoche tritt, wo ihr neue und wichtige politische Aufgaben die Schaffung einer kompakten zentralisierten Organisation und einer einheitlicheren Politik unbedingt gebieten. Die erste Errungenschaft auf dem Gebiet der politischen Rechte hat also zur nächsten Folge die Zentralisierung und Vereinheitlichung der Partei gehabt. Jeder weitere Schritt auf derselben Bahn muß diese Tendenz nur noch verstärken. Auf diese Weise stehen die Interessen und die

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[1] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Frankfurt (Main) fand vom 21. bis 27. Oktober 1894 statt.

[2] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Breslau fand vom 6. bis 12. Oktober 1895 statt.

[3] Der Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie fand vom 5. bis 11. April 1896 in Prag statt.