Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 305

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ebensowenig mit „Herrn Thaddäus“ verglichen werden kann wie etwa mit der Iliade. Dieser reiht sich auch das Mickiewiczsche Hauptwerk zweifellos an, nur daß es auch noch manches mit „Don Quichotte“ gemein hat. Es ist eben das Spiegelbild nicht einer von Gesundheit strotzenden, in der beschaulichen Ruhe der Entwicklungshöhe sich sonnenden Gesellschaft, wie sie Homer schildert, sondern einer verfallenden, einer Gesellschaft der „Morituri“: daher – unbeschadet der meisterhaften Objektivität in der klassischen Ruhe der Darstellung – der feine Anflug der wehmütigen Ironie, des satirischen und zugleich versöhnenden Humors, der das ganze gigantische Bild wie die rosigen Strahlen einer untergehenden Sonne überstrahlt.

Kein Wunder, daß das Auftreten Mickiewicz´ in der Poesie wie eine Offenbarung auf die polnische Gesellschaft wirkte. Gleich nach seinen Erstlingswerken, besonders nach der herrlichen Ode an die Jugend, worin der Dichter in hinreißendem Jugendenthusiasmus und in Strophen, die wie Hammerschläge wirkten, seine ganze Generation aufruft, mit vereinten Kräften den „verschimmelten Erdball aus den Angeln zu heben“ und in neue Bahnen zu lenken, wurde er zum Mittelpunkt der ganzen geistigen Bewegung, zum Gegenstande einer grenzenlosen Verehrung: freilich nur der jungen Generation, er gehörte aber nur ihr, wie der damalige Augenblick der polnischen Geschichte auch. Sogar auf das benachbarte Rußland wirkte sein Genie so mächtig, daß er, nach Rußland verbannt, von der intelligenten Gesellschaft der Hauptstädte auf den Händen getragen wurde und sich besonders unter den späteren Dekabristen viele herzliche Freunde erwarb.

Während aber die Romantik die Vergangenheit verherrlichte, ging die Wirklichkeit unbekümmert ihre Wege in der Gegenwart, und diese Wege führten immer weiter vom Ideale Mickiewicz´ und seiner Schule ab. Sie hatten eine von vornherein von der Geschichte matt gesetzte Sache zu der ihrigen gemacht. Und da die Romantik von der realen Wirklichkeit immer rauhere Schläge bekam, so blieb ihr, wollte sie sich selbst nicht aufgeben, nichts anderes übrig, als sich noch tiefer in das Reich der Phantasie zu verbohren, noch mehr die Wirklichkeit in der Einbildung aufzuheben. Der logische Schritt, der nach der Niederlage der nationalen Bewegung auf die Romantik folgte, war – der Mystizismus. Ebenso Mickiewicz wie mehrere seiner Brüder in Apoll endeten in dem Hafen einer öden, leiblosen, religiösen Mystik. Das war der logische Ausgang der geistigen Richtung, aber zugleich ein Bankrott der Poesie als solcher. Bald nach der Niederlage des Aufstandes verstummte die Nachtigall des polnischen Na-

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