Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 234

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/234

und speziell dem Militarismus, der Zoll- und Kolonialpolitik gegenüber. Es werden sich gewiß Genossen finden, die eine Auseinandersetzung über die allgemeinen Grundlagen unserer Taktik auf dem Parteitag für unzulässig, unausführbar, vielleicht für schädlich halten werden. Wir glauben im Gegenteil, daß eine Debatte über die taktischen Grundsätze der Partei notwendig, möglich und nützlich ist und daß die gegen die Diskussion angeführten Gründe nur Scheingründe sind.

Wird es vor allem heißen, der Parteitag sei kein Konzil der Kirchenväter, um sich mit abstrakten Fragen zu befassen, sondern eine Beratung über praktische Fragen des Kampfes, so müssen wir daran erinnern, daß wir schon mehrmals von dieser engen Auffassung der Aufgaben des Parteitags abgegangen sind und rein prinzipielle Debatten gepflogen haben. Hat doch der sozialdemokratische Parteitag sogar für eine lange Kunstdebatte[1] Zeit gefunden, es wäre seltsam, wenn er sie nicht für eine Auseinandersetzung über die Grundfragen der Taktik finden sollte. Wir halten aber eine solche Auseinandersetzung sogar direkt für notwendig. Nicht als ob wir unsere altbewährten Prinzipien in ernster Gefahr wähnten, nicht als ob wir für unsere Bewegung irgendwie Befürchtungen hegten. Die Bewegung im ganzen wird ihre alten, richtigen Bahnen wandeln, „trotz Sturm und Wind und Schneidergeschwätz“. Aber es läßt sich nicht leugnen, daß die in der letzten Zeit gefallenen Äußerungen einiger hervorragender Genossen eine gewisse Verwirrung angerichtet haben. Eine Diskussion in der Presse genügt im gegebenen Falle nicht, da sie doch nur jedesmal die individuelle Meinung der Schreibenden zum Ausdruck bringt. In so fundamentalen Fragen des Parteilebens jedoch, wie sie diesmal zur Diskussion stehen, muß die Partei in ihrer Gesamtheit Stellung nehmen, sie muß der richtigen Auffassung ihre Sanktion verleihen, und dafür bietet der Parteitag die einzige Gelegenheit. Wir übersehen und unterschätzen durchaus nicht die technischen Schwierigkeiten einer solchen Debatte, aber technische Schwierigkeiten haben uns bis jetzt noch nie von der Erörterung eines für die Partei wichtigen Gegenstandes abhalten können, sie dürften es auch diesmal nicht.

Andererseits versprechen wir uns von einer offenen und ernsten Debatte über die Grundprinzipien unserer Taktik die besten Folgen für die bevorstehende Kampfperiode. Es ist immer und immer wieder die feste Basis unserer allgemeinen revolutionären Weltanschauung, die uns jederzeit und

Nächste Seite »



[1] Auf dem Parteitag der deutschen Sozialdemokratie vom 11. bis 16. Oktober 1896 in Gotha war es bei der Auseinandersetzung über den Inhalt der sozialdemokratischen Literatur- und Kunstzeitschrift .,Die Neue Welt“ zu einer längeren Debatte über die Kunst gekommen.