Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 219

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nischen Genossen in Berlin liegen, unser einziges Parteiorgan in polnischer Sprache entsprechend zu gestalten. Die Hauptsache dabei ist, wie schon mehrmals und neulich auf der Konferenz in Neustadt mit Nachdruck hervorgehoben wurde, daß die „Gazeta Robotnicza“ mit dem Nationalismus bricht und sich entschieden und klar auf den Boden des allgemeinen sozialdemokratischen Parteiprogramms stellt. Wenn irgendeine Tatsache sie in dieser Beziehung belehren konnte, so sind es eben die Erfolge der Reichstagswahl, die nicht durch die utopische nationalistische Propaganda, sondern durch eine praktische und vernünftige sozialdemokratische Agitation erzielt wurden. Die Berliner Genossen erklärten auf der Konferenz in Neustadt ihren Nationalismus durch Rücksichten auf die „Volksmasse“. Es erwies sich, daß man dieser anonymen Person, auf deren breiten Rücken man bekanntlich alle Privatdummheiten abzuwälzen pflegt, auch diesmal Unrecht tat. Die „Volksmasse“ in Oberschlesien begeistert sich tatsächlich nur für das praktische, handgreifliche sozialdemokratische Programm und hat es durch ihre Stimmabgabe – namentlich in solchen Kreisen wie Beuthen-Tarnowitz, wo der Einfluß der Berliner polnischen Genossen fast gleich Null war – bewiesen.

Eine klare und feste politische Haltung wird für unser polnisches Blatt und die polnischen Agitatoren ganz besonders deshalb notwendig sein, weil sie bald in Oberschlesien vor eine schwierige Aufgabe gestellt werden. In der letzten Zeit bereitet sich bekanntlich im Schoße des oberschlesischen Zentrums ein Bruch zwischen dem deutschen und dem polnischen Teile vor. Letzterer, gruppiert um den „Katolik“ und die „Gazeta Opolska“ (Oppelner Zeitung), trägt einen demokratischeren Charakter und will in der Zentrumspolitik den modernen Anforderungen an eine „Volksvertretung“ mehr Rechnung getragen wissen. Namentlich aus Anlaß der Wahlen kam es zu schroffen Auseinandersetzungen. Der Kandidat der Polen in Beuthen-Tarnowitz, ein Bergarbeiter, wurde vom Wahlkomitee des Zentrums abgelehnt, ferner wurde im Kreise Oppeln gegen den polnischen Zentrumskandidaten Szmula ein deutscher, der Pfarrer Wollny, auf den sich alle Reaktionäre „gesammelt“ haben, aufgestellt, so daß es bekanntlich zur Stichwahl zwischen zwei Zentrumskandidaten kam. Szmula wurde gewählt. Auch die Kandidatur des Grafen Ballestrem in Lublinitz-Gleiwitz, der sich seinen polnischen Wählern nur deutsch vorzustellen wußte, empfanden die Polen als einen Faustschlag ins Gesicht. Gleich in der ersten Wählerversammlung, wo der Herr Graf ein Tänzchen wagte, kam er fast gar nicht zu Wort, denn es entstand unter den Versammelten „eine große und drohende Bewegung“, wie der „Katolik“ schrieb. „Es war

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