Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 220

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klar, daß sich unter ihnen Leute befanden, die mit der Kandidatur des Grafen Ballestrem unzufrieden waren und dem Wahlkomitee schwere Vorwürfe machten, daß man einen so hohen Herrn als Vertreter des arbeitenden, vorwiegend polnischen Volkes aufgestellt hatte.“ Freilich hatten die Polen einstweilen nicht den Mut, auf eigenen Kandidaturen zu bestehen, und fügten sich, wenn auch murrend, noch diesmal in das Joch des deutschen Zentrums. Allein, das Ergebnis der Wahlen selbst, namentlich unser überraschender Stimmenzuwachs, kann sehr leicht die Spaltung beschleunigen. Die polnischen Klerikalen lassen – unbeirrt durch die auch diesmal noch in allen Kreisen errungenen Mandate – die Lehren des Wahltages nicht umsonst an sich vorbeigehen. „Es hat sich gezeigt“, schreibt der „Katolik“ am 21. Juni, indem er das Fazit aus den Wahlergebnissen zieht, „daß im Volke eine große Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik der Führer herrscht ... Eins hat sich in greller Weise aus dem Verlauf der Wahlen ergeben, nämlich: Wird das Zentrum bei uns nicht zur wirklichen Volkspartei, so wird es in unseren Wahlkreisen verschwinden. Wenn die Führer nicht aufrichtig zum Volke halten werden, so verlieren sie vollständig den Einfluß.“ Daß es den Führern des oberschlesischen Zentrums – den Kohlengrafen und den Latifundienagrariern – ebenso leicht ist, zur „wirklichen Volkspartei“ zu werden, wie dem Kamel, das Nadelöhr zu passieren, ist selbstverständlich. Um so wahrscheinlicher ist es, daß sich der polnische Bruchteil, der sich hauptsächlich auf die Bergarbeiterschaft und das Landvolk stützt, vom Ganzen sondern und eine oberschlesische Volkspartei bilden wird.

Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß bei dem gegebenen geistigen Niveau der dortigen Volksmasse und der Jugendlichkeit unserer Bewegung eine polnisch-demokratisch-katholische Partei vorerst viel mehr Aussicht auf Erfolg hat als die Sozialdemokratie und daß sie für uns eine nicht zu unterschätzende Gefahr bilden würde. Hätten sich schon diesmal die Kandidaturen des „Katolik“ erhalten, wir hätten sicher nicht halb soviel Stimmen bekommen.

Der Entwicklung einer solchen die Demokratie heuchelnden polnisch-klerikalen Bewegung, die uns den bereits gewonnenen Einfluß auf die Massen streitig machen könnte, entgegenzuarbeiten ist jetzt unsere Aufgabe in Oberschlesien, die, da die Waffen gleichartig sein müssen, vor allem den polnischen Genossen zufällt. Die „Gazeta Robotnicza“ muß suchen, in Oberschlesien mehr als bis jetzt Einfluß zu gewinnen und dem „Katolik“, der, nebenbei bemerkt, das von seinem Standpunkte bestredigierte polnische Volksblatt in Deutschland ist, das Wasser abzugraben.

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