Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 205

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Polen und St. Petersburg rücksichtslos preisgibt. Diese Gesichtspunkte hat auch der einflußreichere Teil der russischen Presse, so die „Nowoje Wremja“, im Anschluß an die Erörterungen über die Interessen des Zarenreiches in Asien ausdrücklich hervorgehoben.[1] Daß die Regierung ihrerseits sich jetzt auch tatsächlich anschickt, mit dem wirtschaftlichen Schlendrian Moskaus aufzuräumen und die Moskowiter auf die Bahn einer modernen Produktions- und Handelstechnik zu drängen, beweist am besten das neueste Gesetz über den Maximalarbeitstag, welches den schroffsten Bruch mit der bisherigen Produktionsweise Moskaus bedeutet, während es zugleich als eine Verwirklichung des polnischen Projektes von 1892 erscheint.

Im gleichen Maße, wie der ökonomische Konservatismus Moskaus ein Hemmschuh der heutigen Politik Rußlands ist und mit jedem Tag es immer mehr wird, erscheint die polnische Industrie wieder einmal als Bundesgenossin des Zarismus. Wir haben bei dem Vergleich der Konkurrenzbedingungen der polnischen Produktion mit der zentralrussischen gezeigt, wie sehr Polen in technischer Beziehung hoch über Moskau steht. Schon aus diesem Grunde, als der fortschrittlichste Industrierayon Rußlands, als derjenige, welcher die übrigen, speziell den Moskauer, durch seine Konkurrenz unaufhörlich zu technischen Verbesserungen anspornt, verwirklicht das kapitalistische Polen das neueste russische Regierungsprogramm. Aber auch direkt in der Eröffnung der asiatischen Absatzmärkte schreiten die polnischen Industriellen den russischen voran. Wir haben gesehen, wie ernst und gründlich sie sich zu dieser Aufgabe vorbereiten. Ohne die Aufforderung der Regierung abzuwarten, ergreifen sie selbst die Initiative und knüpfen auf eigene Faust Handelsbeziehungen mit dem Auslande an.

In dem einzigen Lande, wo der russische Handel verhältnismäßig gedeiht – in Persien –, bilden die Erzeugnisse der polnischen Textilindustrie beinahe die Hälfte der ganzen einschlägigen Einfuhr aus Rußland – ca. 40 % des Imports über die wichtigste Verbindungsstation Baku.[2] Den Polen gehört auch in mancher Hinsicht die Initiative der Handelsbeziehungen mit Persien; bereits 1887, also bevor noch die Regierung diesem Lande ihre Aufmerksamkeit zugewandt hatte, schickten sie sich an, in Teheran eine eigene Handelsagentur und ein Warendepot zu eröffnen.[3]

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[1] Angeführt in der „Gazeta Polska“ vom 3. und 5. Dezember 1894. [Fußnote im Original]

[2] Der Finanzbote, Nr. 44 vom 11. November 1894. [Fußnote im Original]

[3] „Inconsequence of some important orders for carriages and linen which the Shah of Persia had given to the manufacturers of those articles in Poland, the attention of the mercantile community on this country was called to the possibility of establishing direct commercial relations with Persia … with this object in view a large commission agent proceeded to that country about the end of last year for the purpose of making himself thoroughly acquainted with its markets, taking with him a considerable quantity of samples of different kinds of goods, and it is said that, if his journey is attended with favourable results, a wholesale depot and commission agency will be opened at Teheran.“ (Dipl. and Cons. Reports, Nr. 321, S. 5.). [Fußnote im Original]