Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 166

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Nach der übereinstimmenden Meinung aller Forscher, die die Lohnarbeit zum Gegenstande ihrer Untersuchungen gemacht haben, sind nun alle angeführten Momente: Bildung, bessere Wohnung und Nahrung, individueller Haushalt, kurz alles, was die Lebenshaltung des Arbeiters hebt, auch für die Intensität seiner Tätigkeit von entscheidender Bedeutung.[1]

Endlich herrscht in Polen der Stücklohn, der bekanntermaßen die Intensität der Arbeit aufs höchste steigert, in Rußland dagegen der Zeitlohn vor.

Alle erwähnten Momente lassen uns die Arbeit des polnischen Fabrikarbeiters als viel intensiver im Vergleich mit der des russischen Arbeiters erscheinen. Und diese Eigenschaft des polnischen Arbeiters wiegt seinen höheren nominellen Lohn und die kürzere Arbeitszeit so stark auf, daß er schließlich dem polnischen Fabrikanten billiger zu stehen kommt als der russische dem seinigen.[2]

Berechnet pro Pud beträgt der Arbeitslohn nämlich[3]:

für Baumwollgewebe für Baumwollgarn
in Polen 0,77-1,50 Rubel 0,66-1,20 Rubel
in Rußland 2Rubel und mehr 0,80-1,50 Rubel

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[1] Vgl. Th. Brassey: Work and Wages; auch L. Brentano: Über das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeitsleistung. [Fußnote im Original]

[2] „In Ländern von verschiedner Entwicklungsstufe der kapitalistischen Produktion und daher von verschiedner organischer Zusammensetzung des Kapitals kann die Rate des Mehrwerts (der eine Faktor, der die Profitrate bestimmt) höher stehn in dem Lande, wo der normale Arbeitstag kürzer ist als in dem, wo er länger. Erstens: Wenn der englische Arbeitstag von 10 Stunden seiner höhern Intensität wegen gleich ist einem österreichischen Arbeitstag von 14 Stunden, können bei gleicher Teilung des Arbeitstags 5 Stunden Mehrarbeit dort einen höhern Wert auf dem Weltmarkt darstellen als 7 Stunden hier. Zweitens aber kann dort ein größter Teil des Arbeitstags Mehrarbeit bilden als hier.“ (Karl Marx: Das Kapital, Bd. III, Teil 1, S. 195 f.) [Karl Marx: Das Kapital, Dritter Band. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 25, Berlin 1964, S. 225.] [Fußnote im Original]

[3] J. J. Janshul: Der Fabrikarbeiter in Mittelrußland …, S. 791. – Nach Swiatlowski (l. c., S. 61) ist in Polen nur die Weberarbeit billiger, die Spinnerarbeit dagegen teuerer als in Rußland. – Nach „Die Fabrikindustrie Rußlands“, I, S. 17, sind die Herstellungskosten von 1 Pud Baumwollgarn in Polen und in Moskau im ganzen ungefähr gleich, wobei der polnische Fabrikant, wenn er auch für das Heizmaterial um 52 Kopeken weniger, doch für Arbeitskraft mehr als der Moskauer, und zwar 33 Kopeken, ausgibt. Für zuverlässiger halten wir die von uns im Text angeführten auf Grund persönlicher Erhebungen von Janshul ermittelten Angaben über den Arbeitslohn. Als ehemaliger Fabrikinspektor des Moskauer Rayons und Leiter der Kommission zur Untersuchung der Industrie in Polen hatte er Gelegenheit, die polnische und russische Industrie aus eigener Anschauung kennenzulernen. – „Trotz der niederen Löhne ist die Arbeit in Rußland sehr teuer. In England erfordern 1000 Baumwollspindeln 3 Arbeiter, in Rußland nach Mendelejew 16,6. Wenn also der Engländer selbst vierfachen Lohn erhielte wie der Russe, so arbeitete er doch immer noch weit billiger. Zu den Löhnen aber kommen noch die hohen Kosten für Aufsicht, Paßwesen, Arbeiterwohnungen, Krankenhäuser usw., welche in England ganz, in Polen zum großen Teil wegfallen.“ (Schulze-Gävernitz, l. c., S. 361.) Dies alles verhindert jedoch seltsamerweise Prof. Schulze-Gävernitz nicht, die höheren Wochenlöhne – wie wir gesehen – als einen die Vorteile der billigeren Heizung aufwiegenden Nachteil der polnischen Industrie anzuführen. – Ebenso sagt hier das englische Blaubuch: „Although the Russian manufacturer appears to have an advantage in these respects“ (the extraordinarily low rate of wages) „the cost of production is greater for him than fot the Polish manufacturer.“ (Royal Commission …, Vol. X, S. 9.) Und weiter: „There is a still more striking difference between the Polish and Russian workpeople. The latter, although now nominally free, are but little removed from their former condition, and have small ambition to improve their position. The Poles have a far higher standard of comfort, and since they depend entirely upon their wages for their support, they are not contented with low earnings, but still their work is found to be less expensive than that of the Russians.“ (l. c.) Die Charakteristik des russischen Arbeiters ist übrigens stark antiquiert; die seit 1896 nicht aufhörenden großen Streiks in Rußland beweisen, daß auch die dortigen Arbeiter have ambition to improve their position. In dem Artikel: Industrielle Politik Rußlands… In: Neue Zeit, l. c., S. 791, heißt es: „Die Arbeitskraft ist in Rußland auch billiger als in Polen … Dabei ist die Arbeitszeit in Rußland viel länger als In Polen … Was aber die Intensität der Arbeit anbetrifft, so ist sie, wie uns der erwähnte Fabrikinspektor Swiatlowski versichert, in beiden Ländern gleich.“ [Hervorhebung – R. L.] Von einer solchen „Versicherung“ ist in den Schriften von Swiatlowski keine Spur zu finden. Es würde Swiatlowski übrigens schwerfallen, die ihm in den Mund gelegte Versicherung zu geben, erstens, weil er nirgends die dem Verfasser des Artikels „Industrielle Politik“ so stark innewohnende Neigung verrät, dem Leser etwas zu versichern, was nicht existiert, und zweitens, weil er in der Frage der Intensität der Arbeit in Polen vielmehr das gerade Gegenteil „versichert“. S. W. W. Swiatlowski, l. c., S. 59–61. [Fußnote im Original]