Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 164

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wie schon der Fabrikinspektor Swiatlowski bemerkt hat, insofern falsch, als in Polen die Frauen- und Kinderarbeit weit mehr verbreitet ist als in Rußland, weshalb in Polen vielfach ein weiblicher Arbeiter dem männlichen in Rußland gegenübersteht und die Löhne der männlichen russischen Arbeiter daher vielfach nicht mit denen der männlichen polnischen, sondern mit denen der weiblichen verglichen werden müßten.[1] Die Zahl der beschäftigten Frauen beträgt in der Tat in der Textilindustrie (die bei der Konkurrenzfrage vor allem in Betracht kommt) in Polen mehr als 50 % des ganzen Fabrikpersonals, im Moskauer Rayon dagegen in der Baumwollindustrie nur 37 %, in der Wollindustrie sogar nur 28 %.[2]

Vergleicht man aber die Löhne der männlichen Arbeiter in Rußland mit denen der weiblichen in Polen, so verschiebt sich das Bild vielfach zuungunsten des Moskauer Rayons, auf jeden Fall ergibt sich ein Ausgleich der Bedingungen. Die Durchschnittslöhne in der Textilindustrie sind monatlich in Rubeln[3]:

in Polen In Rußland
für Männer 20,1 15,2
„ Frauen 15,3 8,8
„ Kinder 8,8 5,5

Will man also wirkliche und genaue Data über die relative Lohnhöhe in Rußland und in Polen gewinnen, so muß man außer den nominellen Löhnen auch die Zusammensetzung des Arbeiterkontingents nach Geschlecht und Alter in beiden Ländern berücksichtigen, und das so gewonnene Resultat wird vielfach ein bedeutend anderes als das obige sein. Dies ist vor allem das Korrektiv, das zu dem gewöhnlich aus dem Vergleich der Löhne gezogenen Schlusse zu machen wäre.

Zweitens wird oft außer acht gelassen, daß der russische Arbeiter sehr häufig von der Fabrik Wohnung, hie und da sogar Kost bekommt. Und zwar gilt dies nicht nur für ledige Arbeiter, sondern auch für verheiratete, deren Familien gewöhnlich in derselben Fabrikkaserne wohnen. Das Heizmaterial wird ihnen dabei gleichfalls von der Fabrik verabfolgt.[4]

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[1] W. W. Swiatlowski, l. c., S. 59 f. [Fußnote im Original]

[2] Berichte der Kommission zur Untersuchung …, I, S. 71. [Fußnote im Original]

[3] l. c., I. S. 39. [Fußnote im Original]

[4] W. W. Swiatlowski, l. c., S. 47. – Bericht des Fabrikinspektors für den Petersburger Rayon, S. 11. – In drei industriellen Bezirken des Moskauer Gouvernements, wo diesbezügliche Erhebungen gemacht worden sind, wohnen in den Fabrikkasernen 56,8 °/0 der gesamten männlichen Arbeiter; in der Gruppe der Spinner und Weber steigt diese Zahl auf 66.8 % (Dementjew: Die Fabrik …, S. 42.) Nach denselben Erhebungen entfallen von der Gesamtzahl der Kasernenbewohner 22,2 % auf Familienangehörige der Arbeiterschaft, welche selbst in der Fabrik nicht beschäftigt sind (l. c., S. 44). [Fußnote im Original]