Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 150

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sich der Industrie dank der Transsibirischen Eisenbahn und den gewaltigen Erfolgen der russischen Politik in Asien eröffnen, bedeuten u. a. für die polnische Industrie eine neue Revolution, vielleicht eine noch weitgehendere, als die sie in den siebziger Jahren erlebte. Die polnischen Unternehmer bereiten sich allen Ernstes auf diese Zukunft vor und richten ihr Augenmerk beharrlich auf Asien. Es wird in Warschau ein Warenmuseum des Ostens errichtet, welches die spezielle Aufgabe hat, die Produzenten mit der Warenwelt, dem Geschmack und den Anforderungen Asiens vertraut zu machen. In dem Prospekt der neuen Handelsanstalt wird darüber folgendes berichtet:

„Zucker und Branntwein, Maschinen und Gußröhren, Glas, Fayence und Porzellan, Schuhe, Krawatten und Handschuhe, Tücher, Kattun und Leinwand, welche bei uns fabriziert werden, gingen noch vor kurzem nicht weiter als nach einigen nächstliegenden Gouvernements; heute wandern sie über den Don, den Ural, nach dem Kaukasus, über das Kaspische Meer, nach China, Persien und Kleinasien. Um es aber in dieser Richtung möglichst weit zu bringen, kann man nicht denjenigen, für die die Ware bestimmt ist, unsern Geschmack aufdrängen, sondern man muß sich dem ihrigen anpassen, man muß das produzieren, was auf jenen Märkten einen Absatz findet, der dortige Geschmack unterscheidet sich aber von dem unsrigen unendlich ... Die Gattung des Stoffes, die Form, das Dessin, die Lieblingsfarben sind dort andere als bei uns ... Das, was wir bis jetzt produzierten, war vorzugsweise für die zivilisierte eingewanderte Bevölkerungsschicht in jenen Ländern bestimmt. Die Massen standen außer dem Zielbereich unserer Industrie. Wenn wir aber unsere Industrie auf ein festes Fundament stützen und sogar erweitern wollen, müssen wir Waren produzieren, welche dem Geschmack und den Gewohnheiten der Massen entsprechen, und daher müssen wir die Bedürfnisse dieser Masse kennenlernen.“[1]

Dies in kurzen Zügen die Geschichte der Industrie in Russisch-Polen. Aus den Bemühungen der Regierung des Königreichs Polen hervorgegangen, macht sie gleich im ersten Augenblick den Versuch, sich der russischen Märkte zu bemächtigen. Nun ihr der Zutritt zu diesen erschwert und sie auf den inneren Konsumtionskreis mehr angewiesen wird, entwickelt sie sich langsam und schrittweise. Die soziale Krise, welche Rußland in den sechziger Jahren durchmachte, reißt auch Polen aus seiner ökonomischen Unbeweglichkeit und zieht es in den Strudel der kapitalistischen Entwicklung hinein. Mit der erneuerten, diesmal definitiven Eröffnung der russi-

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[1] l. c., 1896, Nr. 5. [Fußnote im Original]