Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 122

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dabei von Absichten geleitet war, die in nationaler Beziehung nichts weniger als freundlich Polen gegenüber waren.

Die Bemühungen der Regierung Kongreßpolens fanden übrigens vom ersten Augenblick an den günstigsten Boden in den Zollverhältnissen Polens vor. Durch die Wiener Kongreßakte erfolgten für Polen in dieser Beziehung zwei wichtige Maßregeln, erstens wurde es mit Rußland vereinigt, zweitens wurde ihm der freie Handelsverkehr mit den anderen Landesteilen des ehemaligen Polens oder, was im Grunde genommen dasselbe bedeutete, mit Deutschland und Österreich gesichert. Was die Vereinigung mit Rußland betrifft, so wurden die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern durch den Zolltarif von 1822 und 1824 dahin reguliert, daß dieselben eigene Erzeugnisse fast zollfrei miteinander austauschten.[1] Die Bedeutung dieser Neuregelung für Polen wird aber erst klar, wenn man ins Auge faßt, daß Rußland seit dem Jahre 1810 und besonders später unter der Leitung von Kankrin[2] eine äußerste, oft an Unsinn grenzende Prohibitivpolitik Europa gegenüber befolgte und von allen Seiten durch eine unübersteigliche Zollmauer vor fremden Fabrikaten geschützt war. Durch die Vereinigung mit Polen auf Grund der erwähnten Zolltarife wurde Rußland nun von dieser Seite den deutschen Waren zugänglich gemacht. Für Polen hatte diese Tatsache zur Folge, daß es zur Werkstatt für die Bearbeitung deutscher Halbfabrikate wurde, welche meist zollfrei nach Kongreßpolen eingeführt, hier appretiert wurden und als polnische Fabrikate wieder fast zollfrei nach Rußland wanderten. Auf solchem Wege kam namentlich die große Tuchfabrikation Polens in wenigen Jahren in Blüte.[3] Erst in den Jahren 1817 bis 1826 gegründet, erreicht sie im Jahre 1829 schon die für die damalige Zeit ansehnliche Höhe von 5 752 000 Rubel Produktionswert.[4] Daß dieses überraschend rapide Wachstum fast ausschließlich dem russischen Konsum zu verdanken war, zeigt die folgende Tabelle der Ausfuhr von Wollfabrikaten nach Rußland in tausend Rubel: 1823 1 865, 1825 5 058, 1827 7 218, 1829 8 418.[5] Wenn

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[1] Die Rohprodukte Rußlands und Polens wurden ganz zollfrei erklärt, die Fabrikate aus eigenen Rohstoffen mit 1 %, aus fremden mit 3 % Zoll ad val. getroffen. Eine Ausnahme bildeten da Zucker und die Baumwollstoffe, welche mit 25% resp. 15 % ad val. verzollt wurden. Für Polen, welches aus Rußland Baumwollstoffe in großem Umfange bezog, war dieser vom Standpunkte Rußlands ganz sinnlose Tarif äußerst günstig, da er die polnische Baumwollindustrie vor russischer Konkurrenz schützte, die Ausfuhr polnischer Wollstoffe nach Rußland aber gleichzeitig förderte. [Fußnote im Original]

[2] J. F. Kankrin, von 1823 bis 1844 russischer Finanzminister, vertrat in der Zollpolitik den Protektionismus, der das chronische Defizit im Budget des feudalen Staates decken und damit der Entwicklung einer kapitalistischen Industrie entgegenwirken sollte.

[3] O. Platt, l. c., S. 62. – K. Lodyshenski: Geschichte des russischen Zolltarifs, S. 217 u. 218. [Fußnote im Original]

[4] W. Załẹski: Vergleichende Statistik des Königreichs Polen, S. 147. [Fußnote im Original]

[5] Lodyshenski, l. c., S. 218. Nach Rodecki betrug die Ausfuhr der Erzeugnisse der polnischen Wollindustrie nach Rußland im Jahre 1827 13,2 Millionen polnische Gulden (à 15 Kopeken). (Geographisch-Statistisches Bild des Königreichs Polen, Tabelle III.) [Fußnote im Original]