Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 120

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Handwerkern rief die Regierung Kongreßpolens zur Leitung ihrer Unternehmungen hervorragende Industrielle vom Auslande herbei: Coqueril aus Belgien, Fraget, Girard u. a. Die Regierung Kongreßpolens begnügte sich jedoch nicht mit der Gewährung von Privilegien an Einwanderer und mit der Errichtung deutscher Manufakturstädte. Im Unterschied zum mittelalterlichen Handwerk konnte sich die Manufaktur nicht mit dem engen Konsumtions- und Zirkulationskreis innerhalb je einer Stadt begnügen, sie erforderte von vornherein einen Massenabsatz, daher auch einen wenigstens auf das ganze Land sich erstreckenden Warenverkehr. Deshalb mußte die Regierung gleichzeitig mit der Gründung von Manfukaturkolonien eine Reihe administrativer und legislativer Reformen vornehmen, welche das Land ökonomisch zu einem Komplex vereinigen und die notwendigen juristischen Formen für den inneren Warenverkehr schaffen sollten. Die größte Bresche in die Eigentums-, speziell die Grundeigentumsverhältnisse des alten Polens hatte bereits der im Herzogtum Warschau 1808 eingeführte Code Napoléon gelegt. Er hatte juristische Formen einer modernen bürgerlichen Ökonomik in ganz fertiger Gestalt auf ökonomische Zustände einer rein feudalen Naturalwirtschaft aufgepfropft. Ohne die Produktionsweise an sich im mindesten umgestalten zu können, hatte er jedoch die alten Eigentumsverhältnisse stark durchlöchert und so ihre Zersetzung beschleunigt. Durch die Abschaffung der ewigen Renten, der Fideikommisse[1] u. a. wurde der Grundbesitz aus der Unbeweglichkeit gerissen und in die Zirkulation geschleudert. Zugleich hatte der Code Napoléon für den Handel und die Handelsgerichtsbarkeit rechtliche Normen geliefert. 1817 wurden ferner Handels- und Manufakturkammern errichtet und das Handelsreglement zum Abschluß gebracht, im folgenden Jahre Hypothekenbücher eingeführt, 1825 die Landkreditgesellschaft gegründet.[2] Seit 1819 nahm man von Staats wegen den Bau von Chausseen und die Regulierung von Wasserstraßen, 1825 die Anlage des Kanals zwischen dem Njemen und der Weichsel in Angriff.[3] Die Regierung ging endlich auch, ganz wie in anderen Ländern in den Anfängen der Manufaktur, mit eigenen industriellen Gründungen voran, richtete Musterbetriebe, Musterschafzucht u. dgl. ein. Den mächtigsten Stützpunkt gab sie aber der aufkeimenden Manufaktur durch die Gründung der Polnischen Bank, die durch den Zarenukas von 1828 ins Leben gerufen und nach dem

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[1] Der Fideikommiß war ein aus größerem Grundbesitz bestehendes Familienvermögen. das unveräußerlich war und bei Vererbung nicht aufgeteilt werden konnte. Er sollte den Großgrundbesitz als wirtschaftliche Grundlage der politischen Macht der Junker erhalten.

[2] J. Posnanski: Produktivkräfte des Königreichs Polen, S. 67 u. 106. – M. Sawelejski, l. c., S. 71. [Fußnote im Original]

[3] J. Posnanski, l. c., S. 140. [Fußnote im Original]