Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 823

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Aber nicht genug damit. Die ganze Heuchelei dieses Patriotismus unserer wappengeschmückten Parlamentsabgeordneten kommt erst bei der Abstimmung über die Vergrößerung des Heeres und der Marine[1] an den Tag. So stimmten unsere polnischen Abgeordneten im Jahre 1893 für die Stärkung des deutschen Heeres, für die Stärkung der bewaffneten Streitkräfte derselben Regierung, die die Polen peinigt, für die Stärkung der Schlinge, die dem polnischen Volk die Kehle zuschnürt! Muß die Regierung angesichts dessen nicht das patriotische Wimmern der polnischen Abgeordneten verspotten? Und ist es angesichts dessen nicht offensichtlich, daß das polnische Volk bisher seine Feinde, aber nicht die Beschützer als Vertreter ins Parlament schickt? Sogar bei der letzten Verdoppelung der deutschen Flotte in diesem Jahre, die doch nichts anderes bezweckte, als die Chinesen zu unterwerfen und zu unterdrücken[2], so wie sie uns heute unterdrücken. Sogar hier schwang sich kaum die Hälfte unserer Abgeordneten dazu auf, gegen die Regierungsvorlage zu stimmen. Die zweite Hälfte dieser „Polen“ verschwand aus dem Parlament, wie es tapferen Männern geziemt, und verbarg sich im Mauseloch, um, Gott bewahre, nicht gegen die Regierung zu stimmen!

Wer hätte übrigens etwas anderes von ihnen erwarten können? Sind doch unsere polnischen Abgeordneten lauter Magnaten, lauter Wappenträger, von denen das Volk schon vor hundert Jahren gesungen hat: „Ehre sei euch, ihr Fürsten, Prälaten, für unsere Sklaverei und Fesseln, Ehre sei euch, ihr Grafen, Fürsten, ihr Hundsfötter für unser mit Bruderblut beflecktes Land.“ So wie damals das Vaterland für sie nur der persönliche Profit war und das Volk nur der Fußschemel, um zu hohen Stellungen vorzudringen, so verhält es sich auch heute. Fast alle sind sie vor allem Besitzer großer Güter und leben als solche genauso von der Mühe des polnischen Knechtes wie der deutsche Agrarier. Fast alle halten und ernähren sie ihre „Mitbrüder, die Bäuerlein“, ebenso wie die deutschen Magnaten – schlechter, als Schweine gehalten werden, denken sie ebenso vor allem daran, das Getreide, das Vieh und den Schnaps, den sie brennen, teuer zu verkaufen, sie wollen also hohe Zölle, obwohl durch die Teuerung und Trunksucht das eigene Volk leiden wird. Im Grunde genommen gehören sie zu ganz derselben Sorte von Menschen wie der deutsche Adel und die deutschen Kapitalisten; sie sind einander wert. Obwohl

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[1] Am 15. Juli 1893 hatte der deutsche Reichstag eine Militärvorlage gegen die Stimmen der Sozialdemokratie, des Zentrums, der Freisinnigen Volkspartei, der Welten und Elsässer angenommen. Die polnischen Reichstagsabgeordneten stimmten für die Vorlage.

[2] 1899 war in Nordchina der Volksaufstand der Ihotuan ausgebrochen, der 1900 durch die vereinigten Armeen von acht imperialistischen Staaten unter Führung des deutschen Generals Alfred Graf von Waldersee grausam niedergeworfen wurde. In einem Abschlußprotokoll von 1901 wurde China u. a. gezwungen, etwa 1,4 Milliarden Mark Kontributionen zu zahlen und der Errichtung von Stützpunkten für die Interventionsarmeen zuzustimmen.