Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 79

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Namen der Partei in Fragen „der Taktik und der Kritik (?)“ zu sprechen (bezieht sich augenscheinlich auf den Londoner Internationalen Kongreß, wo die Parteileitung entgegen den ausdrücklichen Protesten aller Genossen in Posen und in Oberschlesien eine nationalistische Resolution zugunsten der Wiederherstellung Polens unterstützte). Ferner verlangt man die Verlegung der „Gazeta Robotnicza“ nach Posen; man will auch eine Annäherung mit der deutschen Sozialdemokratie und beantragt zu diesem Behufe eine alljährliche Vertretung an den deutschen Parteitagen (die Antragsteller sind sich offenbar nicht klar, daß dies bei der Sonderorganisation nicht angeht); endlich will man einmal über die von den nationalistischen Schwankungen der Parteileitung stark verdunkelte Programmstellung der Partei im klaren sein und verlangt eine Veröffentlichung des Programms nach jeder Parteikonferenz. Die Parteileitung will hingegen, wie es scheint, zur Lösung der der Konferenz bevorstehenden Aufgaben von ganz verkehrter Seite treten. Ihr einziger wichtiger Antrag ist: man solle die bekannte vom Londoner Internationalen Kongreß votierte Resolution über nationale und sonstige Unterdrückung: „Der Kongreß erklärt, daß er für volles Selbstbestimmungsrecht aller Nationalitäten eintritt und mit den Arbeitern jedes Landes sympathisiert“ usw. usw., man solle diese Resolution – in das Erfurter Programm[1] aufnehmen. Wie wundersam sich diese Resolution inmitten des Erfurter Programms ausnehmen würde und wie man in ein wissenschaftlich ausgearbeitetes Programm plötzlich ein beliebiges Stück sozialdemokratischer Prosa hineinsetzen kann, darüber haben die Genossen offenbar nicht nachgedacht. Jedenfalls beweist der Antrag, daß die Berliner Leitung immer noch zu nationalistischen Seitensprüngen neigt, denn die erwähnte Resolution soll in London – wie den Genossen seltsamerweise eingeredet wurde – nur eine verschämte Annahme der Resolution zugunsten der Wiederherstellung Polens gewesen sein. Mit einer solchen Initiative wird der heutigen traurigen Lage der Dinge offenbar am allerwenigsten abgeholfen.

Will die Parteikonferenz der Sache ersprießlichen Nutzen bringen, so muß sie ganz anders verfahren. Ihre Aufgaben wären dann folgende:

Erstens müßte sie – ganz entgegen dem letzterwähnten Antrag – die Programmfrage endgültig erledigen und das Erfurter Programm klipp und klar noch einmal, und zwar ohne alle Zusätze, anerkennen. Die Anerkennung der nationalen Selbstbestimmung ist in ihm auch ohnehin enthalten. Die vorgeschlagene Einschaltung der Londoner Resolution wäre übrigens sogar aus dem Standpunkte der Nationalisten ganz verfehlt, weil

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[1] Auf dem Parteitag der deutschen Sozialdemokratie vom 14. bis 20. Oktober 1891 in Erfurt war ein marxistisches Parteiprogramm angenommen worden.