Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 720

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äußert Genosse Winter eine Auffassung, der man nicht ohne weiteres beistimmen kann.

Wenn bis jetzt die Frage der Übertragung des polnischen Parteiblattes in eine der polnischen Provinzen angeregt wurde, und dies ist bereits mehrmals, so auch von der Schreiberin dieses bereits im Jahre 1896 geschehen, so ging man dabei jedesmal von der selbstverständlichen Erwägung aus, daß ein Parteiorgan normalerweise dort erscheinen muß, wo sich die Arbeiterschaft, auf die es wirken soll, und die Bewegung, deren Mundstück es ist, befindet. Es ist ebenso abnorm, ein polnisches Blatt für Posen und Oberschlesien in Berlin wie z. B. ein Parteiorgan für Galizien in Wien herauszugeben. Durch die Verlegung der „Gazeta Robotnicza“ nach Oberschlesien oder Posen sollte also, nach der bisherigen Auffassung der Befürworter dieser Maßregel, eine innere Fühlung zwischen dem Blatt und der polnischen Bewegung und ein größerer Einfluß auf die letztere erzielt werden.

Genosse Winter faßt die Sache ganz anders auf: Er stellt als das anzustrebende Ziel die Verwandlung der „Gazeta Robotnicza“ in ein oberschlesisches Lokalblatt auf. Dieses ist aber aus verschiedenen Gründen ein verfehltes Unternehmen.

Vor allem übersieht man dabei, daß außer in Oberschlesien auch noch in der Provinz Posen eine polnische sozialdemokratische Bewegung existiert und eine polnische Proletariermasse zu gewinnen ist. Wenn man für eine notwendige Voraussetzung der Herausgabe des Parteiorganes an einem Ort das Vorhandensein eines festen Stammes organisierter und überzeugter Genossen betrachtet, so wäre Posen sogar den oberschlesischen Industriezentren entschieden vorzuziehen. Wir haben bereits in einem Artikel[1] an dieser Stelle dargelegt, daß und weshalb die Arbeitermasse in Posen intelligenter und leichter zu organisieren ist als in Oberschlesien, und auf die bereits erzielten beträchtlichen Erfolge in Posen hingewiesen.

Allerdings ist es klar, daß die Gewinnung der Bergarbeitermassen in Oberschlesien für die Sozialdemokratie, wenn auch schwieriger, dafür unvergleichlich wichtiger ist. Deshalb verzichten die Posener Genossen auf ihre Ansprüche zugunsten der oberschlesischen sehr gern und erwarten im Gegenteil einen Gewinn auch für sich, wenn die „Gazeta Robotnicza“ als Organ der polnischen Parteibewegung in Oberschlesien erscheinen würde. Sollte sie aber einfach zum oberschlesischen Lokalblatt werden, dann bliebe die Posener Arbeiterschaft ohne jede sozialdemokratische Presse, und dies ist durchaus nicht erwünscht. Gerade jetzt schicken sich die Genossen der

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[1] Siehe Rosa Luxemburg: Ein Stück Neuland. In: GW, Bd. 1/1, S. 704-708.