Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 717

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Indien, auf dem Londoner Getreidemarkt in den Wettkampf. Gleich darauf, in den 80er Jahren, erscheint wieder ein neues Land mit seinem Getreide auf dem Schauplatz: Argentinien. Anfänglich schickt es nur zirka 1 Million Doppelzentner, 1890 plötzlich 3,3 Millionen, 1893 bereits 10 Millionen und 1894 ganze 16 Millionen Doppelzentner auf den europäischen Kornmarkt.

So hat sich binnen der letzten 20 Jahre ein Getreideweltmarkt im eigentlichen Sinne dieses Wortes herausgebildet. Denn nun ist es die ganze Welt, die gemeinsam Nachfrage und Angebot darstellt. Zusammen mit der modernen Ausbildung der Verkehrsmittel, die gleichfalls das Werk der letzten beiden Jahrzehnte sind, hat diese Umwälzung im internationalen Getreidehandel eine gegenseitige Abhängigkeit aller nationalen Produktionsverhältnisse, eine rasche, fast impulsive gegenseitige Beeinflussung der Landwirtschaft der verschiedenen Länder herbeigeführt, wie sie vorher nicht geträumt werden konnte.

Als Beispiel sei nur angeführt, daß die alleinige unerhört reiche Ernte Argentiniens im Jahre 1894 einen allgemeinen Preissturz in der ganzen Welt verursacht hat, daß, um einen anderen Fall zu nennen, auf die bloße Nachricht hin von der russischen Mißernte im Jahre 1891 in der amerikanischen Union allein sofort 1,6 Millionen Hektar mehr als im Vorjahre zum Weizenbau genommen wurden (in Deutschland werden im ganzen nur 1,9 Millionen Hektar mit Weizen bestellt!).[1]

Wie sehr Deutschland selbst unter der Herrschaft dieses Weltmarktes und aller seiner Vorgänge steht, mag nur die Tatsache zeigen, daß unter dem Einflusse der Leiterschen Spekulation in Chikago und ihres Zusammenbruchs der Weizenpreis in Breslau von April auf Mai 1898 um 30 M in die Höhe ging, um im folgenden Monat ebenso plötzlich um 25 M herabzuspringen.

So hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine agrarische Weltwirtschaft herausgebildet, in der die deutsche wie ein verschwindend kleiner Teil rettungslos aufgeht. Die Nachfrage, das Angebot, die Preisbewegung werden hinter dem Rücken der deutschen Agrarier gebildet, die mitsamt ihrer Produktion in den großen Strudel der Weltwirtschaft geraten sind, in dem sie nur hilflos zappeln können und gegen den sie vergebens zu schwimmen versuchen.

Der Krieg gegen die Produktenbörse und das Termingeschäft und der

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[1] Siehe für diese Seite der Frage den instruktiven Aufsatz Karl Wiedenfelds im neuesten Heft von Gustav Schmollers Jahrbuch; der Verfasser zieht übrigens aus seinem reichen Tatsachenmaterial ganz verkehrte Schlüsse im Sinne der agrarischen Schutzzollpolitik. [Fußnote im Original]