Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 716

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guten Teil an Berlin verloren haben und zu bloßen Speditionsplätzen geworden sind.

Mit der lokalen ist Hand in Hand eine Unternehmungskonzentration gegangen. In Mannheim und Duisburg beherrschen je eine Firma, in Berlin einige wenige Getreidehäuser die ganze Marktlage. In der Bildung der Zentralbörse für Getreidehandel in Berlin und des Termingeschäftes hatte diese nationale Konzentration ihren Höhepunkt erreicht und zugleich den deutschen Getreidehandel in fester Weise mit dem Welthandel verknüpft.

Es ist klar, daß erst diese Zusammenfassung des ganzen deutschen Getreidehandels in wenigen Händen sowohl einen Überblick über die Nachfrage- und Angebotsverhältnisse Deutschlands wie über die Lage auf dem Weltmarkt und somit die Anpassung der deutschen Geschäfte und Preise an den Weltmarkt ermöglicht hatte. Der ehedem unbeschränkte Einfluß der nationalen und sogar lokalen Produktionsverhältnisse auf die Preisbildung mußte dem Einfluß der Weltproduktion Platz machen.

Daher auch der agrarische Kampf gegen die Berliner Produktenbörse. Er war im Grunde genommen nichts anderes als ein Versuch, den inneren Zusammenhang des deutschen mit dem Weltmarkte rückgängig zu machen und den nationalen Produktionsverhältnissen die ehemalige autonome Preisbildung zu sichern.

Ganz parallel mit der Entwicklung des nationalen Getreidemarktes zur Zusammenknüpfung mit dem Weltmarkt vollzog sich die Ausbildung des Getreideweltmarktes selbst. Deutschland selbst zum Beispiel genügte bis zu den 60er Jahren dem Eigenbedarf und führte sogar einen Überschuß aus. Als Hauptkonsument für Getreide in der ersten Hälfte des Jahrhunderts figuriert nur England, das schon gegen die 50er Jahre eine Nachfrage von 12 Millionen Quarter Getreide in Rohstoff und Mehl darstellte, England stehen als Hauptlieferanten Ostpreußen und Rußland entgegen. Erst Ende der 40er Jahre beginnt Nordamerika, auf dem europäischen Kornmarkt zu erscheinen, und zwar mit der bescheidenen Zufuhr von ca. 2 Millionen Quarter.

In den 70er Jahren werden alle diese Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Deutschland fängt an, mehr ein- als auszuführen. London wird zum Mittelpunkt des internationalen Kornhandels, neben Rußland die nordamerikanische Union zum Hauptlieferanten Europas. In den Jahren 1861 bis 1870 betrug die Weizenausfuhr aus den Vereinigten Staaten durchschnittlich 22 Millionen Bushel, ein Jahrzehnt darauf schon 78 Millionen Bushel, und 1879 allein belief sie sich auf 153 Millionen Bushel!

Gleichfalls in den 70er Jahren tritt ein neuer mächtiger Konkurrent,

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