Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 710

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/710

tel seines Getreidebedarfs selbst produziere und nur ein Zehntel einführe. Es sei ebenso möglich wie unbedingt notwendig, durch den Zollschutz eine Steigerung der Intensität der Betriebe sowie eine Ausdehnung der Produktion herbeizuführen, die auch das fehlende Zehntel zu decken imstande sei. An diesen Hinweis wurden ja, ebenso wie dies heute geschieht, auch „große nationalpolitische“ Gesichtspunkte geknüpft: Durch eigene Produktion des landwirtschaftlichen Mehrbedarfs sollte Deutschland unabhängiger, aktionsfreier gegenüber dem Auslande gemacht werden, sowohl in bezug auf allgemeine industrielle Krisen wie für den Fall eines Krieges.

Die Geschichte der deutschen Getreideeinfuhr während der letzten zwanzig Jahre beweist, daß alle diese agrarischen Verheißungen sich als purer Schwindel herausstellen, sie beweist nicht mehr und nicht minder als die Tatsache, daß Deutschland nun einmal auf die ausländische Getreidezufuhr, und zwar in immer steigendem Maße, angewiesen ist, daß die deutsche Landwirtschaft nicht imstande ist, den einheimischen Bedarf zu decken, und daß also der Schutzzoll in dieser Beziehung seine Wirkung gänzlich verfehlt.

Seit 1881 bis 1891 sehen wir ein stetiges Steigen des Zollsatzes für Getreide, der verlangte Schutz wird immer stärker und die Getreideeinfuhr — gleichfalls immer größer. Die Einfuhr beträgt:

Roggen Weizen
10-Mark-Zoll 1881 575 454 Tonnen 62 000 Tonnen
30-Mark-Zoll 1885 769 701 572 429
1886 565 265 273 280
1887 638 544 547 250
50-Mark-Zoll 1888 652 811 339 767
1889 1 059 731 516 887
1890 879 903 672 587
1891 905 332

Statt also mit dem der Landwirtschaft gewährten Schutz zu sinken, steigt die Getreideeinfuhr vom Auslande immer mehr. Und dieselbe Bewegung setzt sich auch weiter fort, als der Hochschutzzoll heruntergeschraubt wird. Die Einfuhr beträgt:

Nächste Seite »