Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 677

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haft an der englischen Niederlage in hohem Maße Schuld getragen haben, und noch sicherer wird sie für diese Niederlage verantwortlich gemacht werden.

Schon jetzt erörtert die englische Presse sehr lebhaft die Frage der unabweisbaren Heeresreformen. Diese Reformen können aber logischerweise nur in der Richtung zur allgemeinen Wehrpflicht vorgenommen und nur durch sie abgeschlossen werden. Daß England bis jetzt mit dem sonst überall ganz veralteten und längst überholten Werbesystem auskommen konnte, erklärt sich leicht aus seiner geographischen Lage. Der Schwerpunkt der englischen Militärmacht lag bis jetzt in der Flotte, und diese genügte vollkommen, um die englische Kolonialherrschaft und internationale Position aufrechtzuerhalten.

Der Konflikt mit der Burenrepublik, ein Konflikt, in den es sich übrigens selbst, d. h. durch seine imperialistischen Gelüste hineingerannt, stellte zum erstenmal Englands Streitkräfte zu Lande auf ernste Probe. Nach dem Mißlingen dieser Probe ist die Umgestaltung des Heeres für England einfach eine Frage seiner weiteren Herrschaft in Südafrika.

Allein nicht nur das. Noch drohender erhebt sich vor England nunmehr die Frage seiner Herrschaft in Mittelasien. Daß Rußland jede Schwankung in der englischen Machtstellung in Afrika dazu auszunützen gedenkt, um es im geeigneten Augenblick in Mittelasien zu überrumpeln, das versteht sich von selbst. Namentlich aber spekuliert Rußland, wie die russische offiziöse Presse offen ausspricht, auf den Zusammenbruch der englischen Armee zu Lande. England unmittelbar nach dem verlorenen Krieg in Südafrika in einen Landkrieg in Mittelasien zu verwickeln, dies ist der naheliegende Plan Rußlands. Die zweckmäßige gründliche Umgestaltung der Heeresorganisation ist also für England jetzt eine unabweisbare, und zwar sehr dringende Aufgabe.

Es stellt sich dabei eine merkwürdige Tatsache heraus: England wird durch seine Niederlage in Afrika zu demselben Ergebnis geführt wie neulich die Vereinigten Staaten durch ihren siegreichen Krieg mit Spanien[1]. Die Weltpolitik führt in allen Fällen und auf allen Wegen zum gleichen Ziel: zur Stärkung des Militarismus. Die nordamerikanische Union hat im Anschluß an ihre Kolonialerwerbungen ebenso eine Reorganisation und Stärkung ihres Landheeres wie die Schaffung einer starken Kriegsflotte unternommen. England, das bereits eine erste Militärmacht zur See ist, wird gezwungen, auch als eine entsprechende Macht zu Lande sich zu rüsten. Endlich Deutschland, das eine Militärmacht ersten

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[1] Im Ergebnis des spanisch-amerikanischen Krieges von April bis Dezember 1898, des ersten imperialistischen Krieges um die Neuverteilung der Welt, verstärkten die USA ihren Einfluß in Lateinamerika, erweiterten ihr Kolonialreich durch Kuba, Puerto Rico und Guam und eroberten mit den Philippinen eine strategisch wichtige Militärbasis in Ostasien.