Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 663

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„Ich ... bin aber der Meinung, daß ein Volk, dessen Wohlstand in einem solchen Maße wächst wie der des deutschen Volkes, dessen Handel und Industrie auf allen Gebieten so gewaltig fortschreiten, welches sich um 300 000, 500 000 Seelen jedes Jahr vermehrt, wohl berechtigt erwarten kann, daß die Zolleinnahmen, die Haupteinnahmen des Reichs, in dauerndem Steigen begriffen bleiben werden.“[1][Hervorhebungen – R. L.]

Wie nun, wenn dem Aufstiege des Wirtschaftslebens ein Niedergang mit seinen starken Wirkungen folgte, wenn sich die Lebenshaltung und die Arbeitsgelegenheit der Millionen Reichssteuerzahler, die die Reichszölle aufbringen, verschlechterten? Werden auch dann die Flottenkosten ohne Steuererhöhung aufzubringen sein? Und würde dann nicht das Reich auch die Einzelstaaten zu höheren Matrikularbeiträgen heranziehen müssen, die Finanzwirtschaft der Staaten stärker für das Reich heranziehen, so daß ihnen für Kulturaufgaben noch weniger übrigbleibt, als sie heute schon leider dafür aufwenden!

Wie heißt es doch in Miquels Finanzberichte? „Von wesentlichem Einflusse für das günstige Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben des Staatshaushaltes war der Umstand, daß sich durch die in der Reichsfinanzverwaltung in den letzten Jahren zur Geltung gebrachten Verwaltungsgrundsätze die Schwankungen in dem finanziellen Verhältnisse des Reichs zu den Einzelstaaten erfreulicherweise etwas vermindert haben, während freilich die finanzielle Abhängigkeit der Finanzen der Einzelstaaten von der Finanzwirtschaft des Reichs im Prinzip nach wie vor fortbesteht. In wirtschaftlich rückläufiger Bewegung kann sich dies für die preußischen Finanzen sehr unangenehm fühlbar machen, da nach der gegenwärtigen Rechtslage das Reich das unbeschränkte Recht des Rückgriffs auf die Finanzen der Einzelstaaten durch Erhöhung der Matrikularbeiträge hat, während die vom Reiche zu leistenden Überweisungen aus Zöllen und indirekten Steuern durch die Erträge dieser Abgaben in ihrer Höhe beschränkt sind und durch die in den letzten Jahren stattgehabten jährlichen Schuldentilgungsgesetze weiter beschränkt werden.“

Die edle Absicht des Finanzministers von Miguel, dem Flottenpatriotismus mit seinem Finanzberichte beizuspringen, wird durch die lehrreichen Einzelheiten des Berichts vereitelt. Er legt Zeugnis ab nicht für die Flottenvorlage, sondern dreifach gegen sie.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 295 vorn 21. Dezember 1899.

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[1] Ebenda.