Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 652

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listischen Endziels die Scheidung zwischen Sozialisten und Genossenschaftlern.

Die Frage des Wahlprogramms zum Parlament führt die Spaltung zwischen Sozialisten und Anarchisten, andererseits zwischen Kollektivisten und Possibilisten herbei. Blanquisten, Possibilisten, Kollektivisten sind die drei Hauptgruppen, die aus dem Differenzierungsprozeß hervorgegangen waren, letztere, die guesdistische Arbeiterpartei, von Anfang an am meisten in Programm und Taktik der deutschen Sozialdemokratie verwandt.

Waren die Spaltungen im Interesse der Klärung und der Abgrenzung des Klassenstandpunktes der naturgemäße Ausgangspunkt der modernen französischen Arbeiterbewegung, so bildeten sie in dem darauffolgenden Stadium kein wesentliches Hindernis ihrer Entwicklung. Das wichtigste ist dabei, daß das französische Proletariat es in den 70er und 80er Jahren nicht nötig hatte, eine allgemeine politische Aktion zu unternehmen. Die grundlegenden politischen Freiheiten: das Stimmrecht, das Koalitionsrecht, die Preßfreiheit, hatten die sozialistischen Parteien bereits vorgefunden. Die Repressalien der Regierung in den 80er Jahren beschränkten sich notgedrungen auf polizeiliche und gerichtliche Schikanen gegen einzelne Agitatoren und Organisationen, die auch im einzelnen pariert werden konnten.

Der parlamentarische Kampf vermochte ebensowenig, das einigende Band herzustellen. Die ersten sozialistischen Abgeordneten in den 80er Jahren fanden in der Deputiertenkammer das damals auf dem Höhepunkt stehende Regiment des kleinbürgerlichen Radikalismus vor und konnten, wenig zahlreich, wie sie waren, keine namhafte Aktion entfalten.

Es tritt endlich noch, als drittes, die Gleichgültigkeit des weniger zur Spekulation als zur greifbaren Aktion neigenden französischen Temperaments gegenüber theoretischen Streitfragen hinzu. In der Praxis wurden aber die Unterschiede zwischen den Parteien im großen und ganzen mit der Zeit immer unwesentlicher.

Die ehemaligen Genossenschaftler waren von den Blanquisten assimiliert und zum politischen Kampf erzogen worden. Die Blanquisten selbst paßten sich den politischen Verhältnissen der Dritten Republik an und standen zuletzt ganz auf sozialdemokratischem Standpunkt, den sie manchmal sogar schroffer als die Guesdisten zum Ausdruck brachten.[1] Die theoretisch und in Organisationsfragen zum Anarchismus neigenden Allemanisten (eine

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[1] In der Zolldebatte z. B. stellte die Gruppe Vaillants im Parlament den Antrag auf gänzliche Abschaffung der Zölle, während die Guesdisten die Verwendung der Zolleinnahmen zugunsten der Arbeiterklasse forderten. [Fußnote im Original]