Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 631

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sationen beweisen, daß die Organisation angesichts ihrer Zersplitterung, statt den organisierten Sozialisten eine Überlegenheit gegenüber den Unabhängigen zu sichern, sie vielmehr in ihrer Aktionsfähigkeit so lähmt, daß ihnen umgekehrt bei jeder großen spontanen Klassenbewegung die Unabhängigen über den Kopf zu wachsen drohen. Lafargue hat vollkommen recht, wenn er das starke Wachstum und die große Rolle der unabhängigen Sozialisten in der letzten Zeit in Frankreich auf die Zertrümmerung der radikalen Partei zurückführt. Nur liegt die andere Hälfte der Wahrheit darin, daß die proletarischen Sozialisten in Ermangelung einer starken gemeisamen Organisation nicht imstande sind, die Trümmer des Radikalismus sich einzuverleiben und zu assimilieren. Ja, aus den abnormen Verhältnissen ergibt sich noch eine Eigentümlichkeit: Infolge der Zersplitterung der organisierten Sozialisten wird zur Trägerin der Idee der sozialistischen Einigkeit gerade die Gruppe der Unabhängigen, und diese Grundidee ist es, die unseres Erachtens neben dem persönlichen Glanze Jaurès´ seiner Tätigkeit und seiner Gruppe eine so gewichtige Bedeutung in der Arbeiterbewegung Frankreichs seit einiger Zeit gesichert hat.

Aus alledem ergibt sich, daß die sozialistischen Organisationen nur dann Aussicht haben, die Unabhängigen zu assimilieren und sie der eigenen Taktik unterzuordnen, wenn sie die Hauptlosung der Unabhängigen, die sozialistische Einigkeit, zu der eigenen machen und sie in eine kompakte gemeinsame Parteiorganisation aufnehmen.

Ehe diese Zeilen in die Hände unserer Leser kommen, wird der interfraktionelle nationale Sozialistenkongreß[1] zusammengetreten sein. Möge ihm das Werk der Einigung gelingen!

Die Neue Zeit (Stuttgart),

18. Jg. 1899/1900, Erster Band, S. 313-315.

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[1] Am 3. Dezember 1899 begann im Pariser Gymnasium Japy ein allgemeiner Kongreß aller sozialistischen Gruppen Frankreichs, der über die Beteiligung sozialdemokratischer Minister an bürgerlichen Regierungen beriet. Der Kongreß verurteilte den Ministerialismus, ließ aber gegen die Stimmen der Guesdisten Ausnahmeregelungen zu. Die einzelnen Gruppen einigten sich über bestimmte Maßnahmen, die zukünftige gemeinsame Aktionen ermöglichen sollten.