Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 617

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waren wie durch die Zuchthausvorlage. Die Gärung, die durch dieses Attentat auf das Koalitionsrecht in den weitesten Kreisen der Arbeiterschaft hervorgerufen worden ist, ist so mächtig, wie wir es in dem letzten Jahrzehnt nicht erlebt haben.

Die Stumpfsinnigsten und Gedankenlosesten unter den Arbeitern sind durch die Regierungsvorlage mit dem klangvollen Namen, der wie ein Faustschlag ins Gesicht der Arbeiterklasse tönt, aus ihrem Schlaf wachgerufen worden. Nun gilt es, mit verdoppeltem Eifer diese Gärung auszunützen, d. h., die aufgerüttelten Massen für Gewerkschaftsorganisationen zu gewinnen. Das bedauerliche Verhältnis zwischen dem, was auf diesem Gebiete bereits erreicht worden ist, und dem, was erreicht werden kann und muß, treibt ohnehin zu möglichster Energie im Ausbau der Gewerkschaften. Ihre Jugendlichkeit, ihr meist schwankender Stand in bezug auf die Mitgliederzahlen, ihr noch so häufiges Experimentieren in den Organisationsverhältnissen, die Unregelmäßigkeit und Mangelhaftigkeit in den Beitragsleistungen der Mitglieder, alles dies beweist, daß die deutsche Gewerkschaftsbewegung noch nicht entfernt jene Stabilität und Entwicklung erreicht hat, die ihr einen dauernden und weitgehenden Einfluß auf die wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse verschaffen können.

Vor allem aber hat die Regierung mit ihrem beabsichtigten Streich gegen die Koalitionen tatsächlich direkt einen wunden Punkt der Gewerkschaftsbewegung getroffen. Der „Schutz der Arbeitswilligen“ konnte nur deshalb für die Arbeiterkoalitionen so verhängnisvoll werden, weil es leider noch so viele „Arbeitswillige“ unter den Arbeitern gibt. Die Zuchthausvorlage war nichts anderes als eine Spekulation der kapitalistischen Ausbeutung auf den Mangel an Solidarität unter den Ausgebeuteten im wirtschaftlichen Kampfe. Daß diese Spekulation den Arbeitern so gefährlich werden konnte, ist ein bedeutsames Zeugnis, wie groß noch ihre Sünden gegen die Klassensolidarität sind.

Mit der siegreichen Abwehr des von der Regierung geführten Streiches ist es also noch nicht entfernt getan. Die Zuchthausvorlage hat ein grelles Licht auf die dunkelste Seite der Gewerkschaftsbewegung geworfen, und sie ist eine dringende Mahnung an die Arbeiter, hier Abhilfe zu schaffen. Sie war eine Beschimpfung der Arbeiterschaft und soll zum Appell an ihr Klassenehrgefühl werden. Sie war auf die Zertrümmerung der Koalitionen berechnet und kann sich – bei entsprechender Agitation – in einen Hebel der gewerkschaftlichen Konsolidierung verwandeln.

Der Ruf: Nieder mit der Zuchthausvorlage!, der von einem Ende

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