Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 596

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Ein anderer Krebsschaden vieler Gewerbe und gleichfalls eine Erscheinung letzter Jahrzehnte ist das wohlbekannte Schwitzsystem, d. h. das Zwischenmeistertum. So hat sich im Schauergewerbe gegen Anfang der 80er Jahre das Stauerwesen herausgebildet. Der Stauerbaas oder „Vize“ war vorher bloß Tagearbeiter wie der Schauermann, jetzt nimmt er alle Arbeit in Akkord und vergibt von sich aus die Arbeit. Daraus ergibt sich für die Zwischenmeister ein Jahreseinkommen von 10 000-60 000 M und für die Schauerleute ein immer stärkerer Rückgang der Löhne.[1] Dasselbe Übel hat sich bei den Mauersteinarbeitern eingestellt, wobei die Herren „Vizen“ in Wirtschaften ihre Arbeit vergeben und so die Arbeitsuchenden zum Besuch von einer ganzen Reihe von Wirtschaften zwingen.[2] In ungeheurer Weise ist das Schwitzsystem bekanntlich im Schneidergewerbe, namentlich in der Konfektion, ins Kraut geschossen: Die Sweaters, hier „Fettböcke“ genannt, haben auch in Hamburg wie in anderen Großstädten die Arbeiterschaft in den Abgrund des Elends gestürzt. Es wurde z. B. nachgewiesen, daß ein „Fettbock“ für das Arbeitsquantum einer Woche von vier Näherinnen 112,40 M erhalten hat, während er sie alle zusammen mit 40,20 M entlohnte.[3]

Die Seeleute wurden in den 80er Jahren durch das Aufkommen des Unwesens der Heuerbaase so in Not gebracht, daß sie 1886 speziell einen Seemannsverein gründeten zum Zwecke der Abschaffung der „Landhaie“, wie die Sweaters in diesem Gewerbe genannt werden.

Endlich hat in Hamburg, gleich allen anderen Industriezentren, in vielen Gewerben die Hausarbeit die Existenz der Arbeiter untergraben, so bei den Tabakarbeitern, Schneidern usw.

Zu all den aufgezählten sind noch mit der Zeit die mannigfaltigsten kleinen Methoden hinzugetreten, deren Zahl Legion ist und die alle darauf berechnet sind, dem Lohn des Arbeiters so oder anders beizukommen und die Ausbeutung zu potenzieren. Da ist in erster Linie das System der Strafabzüge, das in Hamburg besonders bei den Maschinisten zu einer Ungeheuerlichkeit ausgewachsen ist.[4] Ferner die Lohnabzüge für gelieferte

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[1] 1. c., S. 206 ff. [Fußnote im Original]

[2] l. c., S. 275. [Fußnote im Original]

[3] l. c., S. 374. [Fußnote im Original]

[4] Der Kuriosität halber sei hier ein bemerkenswertes Beispiel angeführt: Aus dem Jahre 1885 liegt ein Maschinistenkontrakt mit dem Inhaber der Elbfähre vor. Der Maschinist verpflichtet sich, zu jeder Zeit, bei Tag und Nacht, zu fahren, bekommt eine „Gage“ von 100 M monatlich. Der Maschinist leistet Ersatz für irgendwelchen Schaden, entstanden durch sein Verschulden, Verspätungen, Zusammenstöße, Havarie etc. Wer die Maschine eigenmächtig außer Fahrt stellt, zahlt 30 M Strafe. Für verkehrte Stellung der Steuerung 36 M Strafe. Für Trunkenheit 15 M Strafe. Für eine Anzahl dienstlicher Mißgriffe etc. sind noch weitere Bestrafungen von 25, 30 und bis 50 M vorgesehen! l. c., S. 273. [Fußnote im Original]