Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 576

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schwerfallen, zu beweisen, daß das Milizsystem zur wirklichen Verteidigung in allen Formen nicht noch besser zu brauchen ist als die stehenden Heere.

Schippel hat in seinen Artikeln ausdrücklich hervorgehoben, daß der Militarismus eine wirtschaftliche Entlastung für uns sei, und heute hat er nachzuweisen gesucht, daß die Miliz jedenfalls keine wirtschaftliche Entlastung wäre. Die Zahlennachweise Schippels erscheinen mehr als zweifelhaft, aber selbst wenn die Miliz uns ebensoviel kosten würde wie der Militarismus, so könnten wir doch ruhig mit den beiden Händen für die Miliz stimmen, denn dann geben wir wenigstens unser Geld aus, um dafür ein Mittel der Verteidigung nicht nur gegen den äußeren Feind, sondern auch gegen die inländischen Unterdrücker zu haben, dem Militarismus bringen wir aber die Geldopfer zu dem Zwecke, damit man uns erwürgt und unterdrückt. („Sehr gut!“)

Schippel ist ja nicht der einzige; ich verweise nur auf die Auersche Äußerung in Hamburg[1], auf Heine[2] und auf Vollmars letzte Rede in München[3]. Ich begreife nicht, wie jemand, der den Militarismus technisch für unentbehrlich und wirtschaftlich für eine Entlastung hält, so unlogisch ist, gegen die Militärausgaben zu stimmen. Da bleibt doch nur übrig, daß jene Genossen entweder früher oder später die Militärforderungen bewilligen, oder aber, daß sie ihren Standpunkt verlassen und sich auf den Boden unserer Milizforderung stellen. Jetzt allerdings lehnen sie die Militärforderungen noch ab, aber wenn ihre Auffassungen mehr an Boden gewonnen haben, dann werden sie schließlich auch für die Militärvorlagen stimmen. (Unruhe, Widerspruch und Zustimmung.)

Einige Genossen haben gefragt, ja wo ist der Opportunismus, von dem ihr gesprochen habt? Nun, Genossen, in den Äußerungen Schippels, Heines, Vollmars über den Militarismus haben Sie die beste Antwort. Dort ist der Opportunismus in der krassesten Form zum Ausdruck gekommen. Dagegen müssen wir vorgehen. Bitte, nehmen Sie meinen Antrag an, der die Schippelsche Auffassung zurückweist, und antworten Sie dadurch Schippel mit denselben Worten, die er uns zugerufen hat:

Fort mit dem Brei —

Ich brauch´ ihn nicht

Aus Bappe schmied´ ich kein Schwert!

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[1] Auf dem sozialdemokratischen Parteitag vom 3. bis 9. Oktober 1897 in Hamburg hatte Ignaz Auer den Vorstoß Max Schippels gegen die antimilitaristische Haltung der Sozialdemokratie unterstützt.

[2] Wolfgang Heine hatte in einer Rede am 10. Februar 1898 im dritten Berliner Reichstagswahlkreis die opportunistische Auffassung vertreten, die Sozialdemokratie könne einer preußisch-junkerlichen Regierung Militärforderungen für „Volksfreiheiten“ bewilligen. Mit diesem Kompromiß wollte Heine den antimilitaristischen Kampf der deutschen Sozialdemokratie revidieren.

[3] Gemeint ist Georg von Vollmar, der in dieser Versammlung Ende September 1899 u. a. die Anschauungen Max Schippels und Eduard Bernsteins verteidigt hatte.