Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 56

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igkeit zu Rußland zieht. Ja diejenigen Klassen, die Rußland loyal sind – die Bourgeoisie, der Adel, ein Teil des Kleinbürgertums –, geben die stärksten Beweise ihrer Loyalität, zu denen sich eine kapitalistische Klasse aufschwingen kann; sie lecken mit Selbstverleugnung denjenigen Fuß, der sie in politischer und nationaler Hinsicht mit lauter Fußtritten regaliert: siehe die polnischen Schweifwedler in Petersburg und Moskau während der Thronbesteigung und der Krönung Nikolaus’ II.

Die zweite schreckliche Frage: Warum die litauischen Junker, trotzdem sie unter der Konkurrenz des russischen Getreides leiden, keine Anhänger der Wiederherstellung Polens, sondern Russenfreunde sind? Ebenso einfach: Weil die litauischen Junker eben keine Gymnasiasten, sondern praktische Leute sind, daher die Verheißungen des hochgeschätzten Genossen von einem konkurrenzfreien Getreidemarkt in einem erst zu errichtenden polnischen Staate als ein kindisches Geplauder betrachten und ihre Sorgen nicht durch Zukunftsstaatsphantasien, sondern durch reelle Mittel, wie das Betteln bei dem Zarentum u. dgl., zu beseitigen suchen.

Die dritte Frage: Warum die galizischen Schlachtschitzen, die von den ungarischen Ochsen bedrängt werden, sich auch nicht für die Wiederherstellung Polens begeistern? Vielleicht läßt sich das erstaunliche Phänomen damit erklären, daß die österreichische Regierung den galizischen Schlachtschitzen eine Möglichkeit gewährt, die polnischen und ruthenischen Bauern wie Schweine und Ochsen zu behandeln, wie ihnen das allerbeste Vaterland keine größere gewähren kann, und somit eine reichliche Kompensation für den Drang des ungarischen Viehes nach dem Westen gibt.

Es scheint somit mit „unserer“ materialistischen Geschichtsauffassung nicht gar so schlecht zu stehen, wie es der hochgeschätzte Genosse glaubt: Es sind immer und immer wieder die materiellen Interessen, die die politische Physiognomie der verschiedenen Klassen bestimmen und erklären.

Wir werden aber zum Schluß mit Achille Loria verglichen und mit der Gleichung Loria zu Marx wie Freihändler vulgaris zu Ricardo niedergeschmettert. Jedoch nach den Proben der eigenen Begriffe des hochgeschätzten Genossen über die materialistische Geschichtsauffassung trösten wir uns damit, daß dabei wahrscheinlich nichts Böses gemeint war, da die schreckliche Formel für ihn selbst eine Gleichung mit vier Unbekannten zu sein scheint.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 172 vom 25. Juli 1896.

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