Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 556

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2. Die Schippelsche Stellungnahme zum Militarismus[1]. Auch bei dieser Gelegenheit, wo die wichtigste Frage der Taktik zur Debatte stand, wo die „Neue Zeit“ und die Provinzblätter der Partei in ausführlichster Weise den Gegenstand behandelten, hat das Zentralorgan auch nicht eine einzige Notiz gebracht, aus der man seine Stellung zur Frage ersehen konnte. Oder doch? Es hat sie indirekt dadurch ausgedrückt, daß es 1. bei der Wiedergabe der Schippelschen Äußerungen die markanteste, entscheidendste und am meisten angefochtene Stelle, die Schippelsche „Entlastungstheorie“, gänzlich verschwiegen hat; daß es 2. bei der Wiedergabe der Auseinandersetzung Kautskys mit Schippel[2] über die Ansichten von Engels ihr in den Augen der Leser eine praktisch-politische Tragweite zu nehmen sich bemühte, indem es ihnen bloß einen „vorwiegend bibliographischen Charakter“ zuschrieb (Vorwärts vom B. Februar) ; daß es 3. die Behandlung derselben Frage in der übrigen Parteipresse, so in der „Leipziger Volkszeitung“, auf die Genosse Schippel zweimal reagierte[3], seinen Lesern gänzlich verschwiegen bat. Also auch diesmal keine offene Stellungnahme, aber eine Begünstigung des gröbsten Verstoßes gegen das Programm der Gesamtpartei – in verstohlener Weise.

3.Die bayerischen Landtagswahlen.[4] Auch diese Frage hat zu lebhaften Auseinandersetzungen in der Presse geführt, zum Teil im „Vorwärts“ selbst. Genosse Liebknecht hat auch hier – aber nur für seine Person – das Vorgehen der bayerischen Genossen gebrandmarkt[5]. Das Zentralorgan als solches hat bis zur Stunde keine Stellung zu der Frage genommen. Oder doch? Ja, indirekt, indem es die abfälligen Äußerungen in der deutschen Parteipresse, so in der „Sächsischen Arbeiter-Zeitung“, in der „Leipziger Volkszeitung“, deren Redaktionen noch Mitte Juli den Kuhhandel scharf kritisierten, seinen Lesern völlig verschwieg, dafür aber aus einer österreichischen nichtsozialdemokratischen Zeitschrift, der „Wage“, einen Artikel Vollmars auf das ausführlichste wiedergab ohne ein Wort seinerseits.

Also auch hier keine offene Stellungnahme, wohl aber ein Vorschubleisten zugunsten des Opportunismus in verstohlener Weise.

Es sind treffliche Worte, die der „Vorwärts“ da sagt, ihm sei von der Partei die Aufgabe gestellt, das, was die Partei einige, zu vertreten. Nur

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[1] In seinem unter dem Pseudonym Isegrim veröffentlichten Artikel „War Friedrich Engels milizgläubisch?“ in den „Sozialistischen Monatsheften“, dem theoretischen Organ der Revisionisten, vom November 1898, versuchte Max Schippel, die revolutionäre antimilitaristische Haltung der Sozialdemokratie zu revidieren. Er vertrat die Schutzzollpolitik, die die großen Land- und Industriemonopolisten stärkte und die Interessengegensätze zwischen den Nationen vertiefte.

[2] Die folgenden Artikel sind erschienen in der „Leipziger Volkszeitung“, Nr. 42–44 und 47 vom 20.–22. und 25. Februar 1899. als Erwiderung auf die Aufsätze von Max Scbippel: den mit Isegrim gezeichneten Artikel „War Friedrich Engels milizgläubisch?“ in den „Sozialistischen Monatsheften“ vom November 1898 und den in Beantwortung der Kautskyschen Replik (Karl Kautsky: Friedrich Engels und das Milizsystem. In: Die Neue Zeit (Stuttgart), 17. 3g. 1898/99, Erster Band, S. 335 bis 342.) auf den Isegrim-Artikel in der „Neuen Zeit“ mit Schippels eigenem Namen gezeichneten Aufsatz: Friedrich Engels und das Milizsystem. In: Neue Zeit, 1898/99 Nr. 19 u. 20.

[Der Isegrim-Artikel, der die Debatte hervorgerufen hatte, endete bekanntlich mit den Worten: Doch auch für die Partei wird es schließlich (in bezug auf die Milizforderung) heißen: „Fort mit dem Brei – Ich brauch ihn nicht! Aus Bappe schmied ich kein Schwert!“

Um den Artikel IV verständlich zu machen, schalten wir die ihm in derselben Nummer der „Leipziger Volkszeitung“ vorausgegangene Antwort Schippels ein.] [Fußnote im Original]

[3] Max Schippel: Friedrich Engels und das Milizsystem. In: Die Neue Zeit (Stuttgart), 17. Jg. 1898/ 99, Erster Band, S. 580–588 u. 613–617. – Zuschrift Schippels in der „Leipziger Volkszeitung“, Nr. 47 vom 25. Februar 1899 (siehe Rosa Luxemburg: Sozialreform oder Revolution? In: GW, Bd. 1/1, S. 460 f.).

[4] In den Wahlkreisen München I und Rheinpfalz hatten die Sozialdemokraten und das Zentrum eine gemeinsame Liste ihrer Wahlmänner für die Wahlen zum bayrischen Landtag am 17. Juli 1899 aufgestellt. Zwar konnte die Sozialdemokratie die Zahl ihrer Mandate von 5 auf 11 erhöhen, dem Zentrum jedoch brachte dieses Bündnis die absolute Mehrheit im Landtag.

[5] Wilhelm Liebknecht: Kein Kompromiß. Kein Wahlbündnis, Berlin 1899.