Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 536

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/536

  1. endlich, dies halten wir für das praktisch Wichtigste, daß der Parteitag in Hannover auf die Tagesordnung des nächsten Parteitags (1900) die Erörterung über die Taktik der Sozialdemokratie bei den Landtagswahlen setzt. Damit wollen wir das bis jetzt dem eigenen Ermessen der Genossen in jedem Lande des Reiches und zum Teil dem Tasten, den empirischen Experimenten überlassene höchst wichtige Gebiet der Parteitätigkeit einer allgemeinen Regelung seitens der Gesamtpartei nach festen Grundsätzen unterziehen.

Es versteht sich von selbst, daß es hier nicht darauf ankommen kann, jeder einzelnen Landesorganisation die spezielle Marschroute zu diktieren, sie in ihrem Kampfe zu bevormunden, ihr insbesondere die Beteiligung oder Nichtbeteiligung vorzuschreiben. Es handelt sich nur darum, allgemeine feste Regeln aufzustellen, die sich eigentlich nur auf die eine Hauptfrage, das Verhältnis zu den bürgerlichen Parteien bei den Wahlen, beziehen und die vielmehr die Schranken, die Anweisung darstellen, was die Sozialdemokratie in dieser Hinsicht zu unterlassen, als was sie zu unternehmen hat. Die Frage des Kompromisses, die bis jetzt in dem Nebel der Abstraktion und der Allgemeinheiten diskutiert wurde und deshalb nichts ergeben hat, würde hier in einer handgreiflichen, praktischen Weise ihre Lösung finden müssen. Dadurch würde die Partei als Gesamtheit endlich eines der wichtigsten Gebiete ihrer Kontrolle unterziehen, auf denen die „praktische Politik“ im Verborgenen ihre Blüten treibt.[1]

Wie der Hannoversche Parteitag seine Maßnahmen auch treffen mag, er wird sicher einen wichtigen Markstein in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bilden. Die breiten Arbeiterkreise haben alle Ursache, seinen Verhandlungen mit gespannter Aufmerksamkeit zu folgen, denn von ihm wird in hohem Maße der künftige Verlauf des Klassenkampfes in Deutschland abhängen. Der Hannoversche Parteitag ist der letzte im neunzehnten Jahrhundert, in dem Jahrhundert, das den Anfang und den Aufschwung des Sozialismus gesehen hat. Mag er seinerseits dazu beitragen, daß das kommende Jahrhundert uns nicht den – wenn auch zeitweiligen – Niedergang, sondern den vollen Sieg des Sozialismus bringt.

Leipziger Volkszeitung,

I u. II: Nr. 213 vom 14. September 1899,
III u. IV: Nr. 214 vom 15. September 1899,
V u. VI: Nr. 215 vom 16. September 1899.

Nächste Seite »



[1] Wir begnügen uns einstweilen mit einer kurzen Anregung in dieser Frage, die bei ihrer Wichtigkeit natürlich eine eingehende Behandlung verdient. [Fußnote im Original]