Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 531

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andersetzung hätte dann vollständig genügt. Eine Erörterung und offizielle Stellungnahme der Partei ist aber tatsächlich notwendig aus dem Grunde, weil Bernstein durchaus nicht als Einzelgänger, sondern vielmehr als theoretischer Dolmetsch einer ganzen Richtung innerhalb der Partei, und zwar als letztes Glied in ihrer geschichtlichen Entwicklung, auftritt.

Schon in Erfurt sehen wir Bebel alle gefährlichen Seiten der opportunistischen Anwandlungen Vollmars aufdecken und bekämpfen. Im Keim ist das ganze Bernsteinsche Buch in den beiden Münchener Reden Vollmars enthalten. Aber wie anders liegen die Verhältnisse heute im Vergleich zu 1891! Damals stand Vollmar ganz allein. Nicht nur erhob sich in der Partei keine Stimme zu seiner Verteidigung, weder in der Presse noch in irgendeiner Versammlung, noch auf dem Parteitag. Auch in Bayern selbst wie in ganz Süddeutschland stand er völlig isoliert mit seinen Anschauungen da. Einer nach dem anderen erhoben sich in Erfurt die süddeutschen Delegierten, um Vollmar zu desavouieren.

Genosse Löwenstein aus Nürnberg erklärte: „Meine Wähler ... billigen voll und ganz die Taktik, welche bisher, namentlich von seiten der Parteileitung, befolgt worden ist. Sie haben sich auch entschieden gegen die Vollmarschen Anschauungen ausgesprochen.“[1] [Hervorhebung – R. L.]

Ebenso scharf wendeten sich die Delegierten aus Mainz und aus Karlsruhe gegen Vollmar.

Genosse Oertel aus Nürnberg brachte das folgende bekannte Amendement zur Bebelschen Resolution ein:

„Der Parteitag erklärt hierbei ausdrücklich, daß er den Standpunkt, welchen Vollmar in seinen zwei Münchener Reden vom 1. Juni und 6. Juli d. J. mit Bezug auf die nächsten Aufgaben der deutschen Sozialdemokratie und die einzuschlagende neue Taktik eingenommen hat, nicht teilt, sondern denselben als für die weitere Entwicklung der Partei verhängnisvoll betrachtet.“[2] [Hervorhebungen – R. L.]

Vor diesem schroffen Amendement wurde Vollmar nur durch den Antrag eines anderen süddeutschen Delegierten, des Genossen Ehrhart aus Ludwigshafen, bewahrt, welcher Antrag nur in anderer Form desgleichen eine Desavouierung Vollmars enthielt:

„Nachdem sich Genosse Vollmar ohne jede Einschränkung für die vom Genossen Bebel und anderen Rednern (es gab eben keine Redner zugunsten Vollmars – R. L.) entwickelte Ansicht bezüglich der Beibehaltung der bisherigen Parteitaktik ausgesprochen hat, erklärt der Parteitag den An-

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[1] l. c., S. 221. [Fußnote im Original]

[2] l. c., S.216. [Fußnote im Original]