Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 509

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nären, vermoderten und abgelebten Landtag ausrichten können. Auf Recke kann Rheinbaben, auf Rheinbaben irgendwer sonst folgen, die schleichende Krise werden wir aus Preußen nicht los, solange die Reform nach zwei Seiten nicht vollzogen ist: parlamentarisches Ministerium an Stelle des persönlichen Regiments und allgemeines Wahlrecht an Stelle der Dreiklassenwahl. Dies ist die Moral des gegenwärtigen Ministerwechsels.

Wir können der „liberalen“ und „freisinnigen“ Bourgeoisie ruhig überlassen, in ihrer politischen Kinderstube sich auf Tischen und Bänken zu katzbalgen und über die Eigenschaften der kommenden Männer zu rätseln. Was gehen uns eigentlich der Charakter, das Geburtsjahr, die bisherige Laufbahn von Lakaien, die nicht einmal unsere sind, an?

Die Sozialdemokratie, die dazu berufen ist, aus dem bunten Kleinkram des alltäglichen politischen Lebens das Große und Allgemeine herauszukehren, muß bei dem gegenwärtigen Ministerwechsel nur dreierlei dem Volke zum Bewußtsein bringen:

daß an der preußischen Krise einerseits das persönliche Regiment, andererseits das Dreiklassenwahlsystem die Schuld tragen;

daß zur Erhaltung und zur Gesundung des preußischen Staatslebens die Einführung des allgemeinen Wahlrechts und der Verantwortlichkeit der Regierung vor der Volksvertretung dringend notwendig sind;

daß endlich die Sozialdemokratie, die diese Forderungen längst aufgestellt hat und für sie auch kämpft, wieder einmal die einzige, im wahren Sinne dieses Wortes „staatserhaltende Partei“ ist.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 209 vom 9. September 1899.

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