Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 494

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brutalen Methoden des Kampfes zwischen dem Kapital und der Organisation der Arbeit nur in den alten Mittelpunkten der Großindustrie vorkommen, wo die hohe Entwicklung der kapitalistischen Verhältnisse Zeit gehabt hat, die Gegensätze auf die Spitze zu treiben. Hier zeigt es sich, daß in der letzten Zeit in allen Ländern ohne Ausnahme, wo nur industrielle Arbeiter dem Kapital organisiert gegenüberstehen, bald ein Kampf unter Aufgebot aller Mittel seitens des Kapitals beginnt. Hierin macht nicht einmal die demokratische kleinbürgerliche Schweiz eine Ausnahme: Die neuesten Nachrichten von der Aussperrung der Schuhmacher in Pruntrut (Kanton Bern) einzig zum Zwecke der Zertrümmerung ihrer Gewerkschaft zeigen, daß die von den schweizerischen Unternehmern angewandten Methoden an Brutalität denen ihrer deutschen Klassengenossen in nichts nachstehen.[1]

Was ferner in allen großen wirtschaftlichen Kämpfen der letzten Zeit gleichermaßen in den Vordergrund tritt, ist der Umstand, daß es sich dabei nicht mehr um diese oder jene Arbeitsbedingung, nicht um den Lohn, die Arbeitszeit oder ähnliches handelt, sondern um die Existenzfrage der Arbeiterkoalition, um die Gewerkschaft selbst, mag auch eine andere Einzelfrage den Ausbruch des Kampfes veranlaßt haben. Dies war der Fall bei dem Hamburger Hafenarbeiterstreik in Deutschland[2], bei dem Maschinenbauerstreik in England[3], dies ist nun der Fall bei der Aussperrung in Dänemark. Worauf es den Kapitalisten nach ihrer zynisch offenen Erklärung jedesmal ankommt, ist die Zertrümmerung der Arbeiterorganisation, derselben Organisation, die den Arbeitern zur Eroberung der „wirtschaftlichen Macht“ verhelfen soll. Wie stark in diesen Fällen der Klasseninstinkt des Unternehmertums ist, beweist der Umstand, daß sie, sobald es gegen die Gewerkschaft gilt, die größten Verluste eines langen und hartnäckigen Kampfes, den Rückgang des Exports etc. nicht scheuen. Ganz skrupellos und rücksichtslos wird die Hungerpeitsche geschwungen.

Während die Gehässigkeit der Kapitalisten gegen die Gewerkschaften wächst, werden die Aussichten des Kampfes um die Koalition für den Arbeiter im Gegenteil immer geringer. Das Wesen selbst der gewerkschaftlichen Bewegung treibt die Arbeiter an, sich auf immer größerer Grundlage zu organisieren, von den örtlichen Verbänden zu nationalen,

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[1] Die Unternehmer suchten die Arbeiter unter Drohung mit den Fäusten zur Unterschreibung einer Austrittserklärung an die Gewerkschaft zu zwingen!

[2] Von November 1896 bis Februar 1897 hatten etwa 16 000 Hamburger Hafenarbeiter u. a. für Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung gestreikt. Trotz der Solidarität durch das deutsche und internationale Proletariat errangen die Arbeiter nur geringe Lohnzugeständnisse.

[3] Am 1. April 1898 begann der Streik von etwa 100 000 Kohlenarbeitern in Südwales für eine 20prozentige Lohnerhöhung. Er mußte jedoch am 1. September 1898 ergebnislos abgebrochen werden, da die finanziellen Mittel der Streikenden erschöpft waren.