nen Herzen schlagende und doch herzlose, Millionen Menschen umfassende und doch unmenschliche, taube, blinde Ungeheuer – die bürgerliche Gesellschaft!
Es gibt eine unheimliche slawische Volkssage vom Wij, die also lautet: Es war einmal eine menschenbewohnte Stätte, in der böse Geister sich eingenistet hatten. Unsichtbar und nur wie leichte Schatten unter den Menschen huschend, trieben sie ihr Unwesen, schändeten und töteten und tranken Menschenblut. Unzählig und furchtbar waren ihre Verbrechen, so furchtbar, daß man sie einander nicht zu erzählen wagte, und denjenigen, denen man sie flüsternd berichtete, wurden die Haare weiß vor Grauen, und sie selbst wurden zu Greisen. Und kein Mittel, keine Rettung gab es gegen die bösen Geister, da man sie nicht sah und nicht treffen konnte, ob man sie wohl um sich fühlte und ihren unheimlichen Flug, ihre schreckliche Berührung spürte. Da verlautete es, nur eins könne die Macht der bösen Geister brechen, wenn der Wij, der in tiefstem Erdengrund verborgen lebende eiserne Mann mit den langen Augenlidern bis zum Boden, die bösen Geister erblicken und zeigen würde. Man ging den Wij suchen, fand ihn und führte den eisernen Mann mit schwerem Schritt und geschlossenen Augen zu der Wohnstätte der Bösen. „Hebt mir die Augenlider“, sagte Wij, und seine Stimme war wie das Knarren von verrostetem Eisen. Man hob mit Mühe seine schweren eisernen Augenlider, die bis zu seinen Füßen herabhingen, er blickte auf und zeigte mit seinem eisernen Finger auf die böse Geisterschar, die im selben Augenblick sichtbar wurde und mit erschrockenem Flügelschlagen gebrochen zu Boden fiel.
Der „eiserne Mann“, der Mann der eisernen Muskeln, des eisernen Pfluges, des eisernen Hammers, des eisernen Rades – der Mann der Arbeit ist gefunden, er ist aus dein dunklen Erdengrund, wohin ihn die Gesellschaft verbannt hat, an die sonnige Erdoberfläche getreten. Man muß ihm nur die schweren Augenlider heben, auf daß er sieht und seine eiserne Hand streckt, damit die unsichtbaren bösen Geister, die die Menschheit seit Jahrtausenden plagen, ohnmächtig zu Boden sinken.
Leipziger Volkszeitung,
Nr. 101 vom 4. Mai 1899.