Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 447

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Standpunkte aus recht. Das stehende Heer, der Militarismus sind tatsächlich unentbehrlich – aber für wen? Für die heutigen herrschenden Klassen und die jetzigen Regierungen. Was folgt aber daraus anderes, als daß für die heutige Regierung und die herrschenden Klassen von ihrem Klassenstandpunkt die Abschaffung der stehenden Heere und die Einführung der Miliz, d. h. die Volksbewaffnung, als ein Ding der Unmöglichkeit, als eine Absurdität erscheinen mag? Und wenn Schippel seinerseits die Miliz gleichfalls für eine Unmöglichkeit und eine Absurdität hält, so zeigt er damit nur, daß er auch selbst in der Frage des Militarismus auf bürgerlichem Standpunkte steht, daß er sie mit den Augen der kapitalistischen Regierung oder der bürgerlichen Klassen betrachtet. Dies beweisen auch deutlich alle seine einzelnen Argumente. Er behauptet, die Ausrüstung aller Bürger mit Waffen, ein Grundpfeiler des Milizsystems, wäre unmöglich, weil wir kein Geld dazu hätten, „die Kulturaufgaben leiden so schon genug“. Er geht dabei also einfach von der heutigen preußisch-deutschen Finanzwirtschaft aus, eine andere als die Miquelsche[1], zum Beispiel eine Heranziehung der kapitalistischen Klasse zu der Besteuerung in wachsendem Maße, kann er sich auch bei dem Milizsystem gar nicht vorstellen.

Schippel hält die militärische Jugenderziehung, einen anderen Grundpfeiler des Milizsystems, für unerwünscht, weil die Unteroffiziere als militärische Erzieher nach ihm den verderblichsten Einfluß auf die Jugend ausüben würden. Er geht dabei natürlich von dem heutigen preußischen Kasernenunteroffizier aus und überträgt ihn einfach in das fingierte Milizsystem als Jugenderzieher. Er erinnert mit dieser Auffassungsweise lebhaft an den Professor Julius Wolf, der einen wichtigen Einwand gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung darin sieht, daß unter ihrer Herrschaft nach seiner Berechnung eine allgemeine – Steigerung des Zinsfußes eintreten würde.

Schippel hält den heutigen Militarismus wirtschaftlich für unentbehrlich, weil er die Gesellschaft vom ökonomischen Druck „entlaste“. Kautsky gibt sich alle erdenkliche Mühe, um zu erraten, wie sich denn der Sozialdemokrat Schippel diese „Entlastung“ durch den Militarismus gedacht haben mag, und begleitet jede mögliche Deutung mit trefflichen Erwiderungen. Schippel hat aber die Sache offenbar gar nicht als Sozialdemokrat, gar nicht vom Standpunkt des arbeitenden Volkes angefaßt. Wenn er von

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[1] 2. Auflage: diese. – Johannes von Miguel, von 1890 bis 1901 preußischer Finanzminister, machte in seiner Steuerreform von 1891 die Einkommensteuer zum Mittelpunkt des direkten Steuersystems, wonach Einkommen bis 900 Mark steuerfrei blieben, alle höheren dagegen bis zu höchstens 4 Prozent besteuert werden konnten.