Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 424

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Betrachtung ein Luftgebilde. Zwischen der kapitalistischen Entwicklung und der Demokratie läßt sich kein innerer[1] absoluter Zusammenhang konstruieren. Die politische Form ist jedesmal das Ergebnis der ganzen Summe politischer – innerer und äußerer – Faktoren und läßt in ihren Grenzen die ganze Stufenleiter von der absoluten Monarchie bis zur demokratischsten[2] Republik zu.

Wenn wir somit von einem allgemeinen geschichtlichen Gesetz der Entwicklung der Demokratie auch im Rahmen der modernen Gesellschaft absehen müssen und uns bloß an die gegenwärtige Phase der bürgerlichen Geschichte wenden, so sehen wir auch hier in der politischen Lage Faktoren, die nicht zur Verwirklichung des Bernsteinschen Schemas, sondern vielmehr gerade umgekehrt zur Preisgebung der bisherigen Errungenschaften seitens der bürgerlichen Gesellschaft führen.

Einerseits haben die demokratischen Einrichtungen, was höchst wichtig ist, für die bürgerliche Entwicklung in hohem Maße ihre Rolle ausgespielt. Insofern. sie zur Zusammenschweißung der Kleinstaaten und zur Herstellung moderner Großstaaten notwendig waren (Deutschland, Italien), [sind sie entbehrlich geworden;] die wirtschaftliche Entwicklung hat[3] inzwischen eine innere und organische Verwachsung herbeigeführt [,und der Verband der politischen Demokratie kann insofern ohne Gefahr für den Organismus der bürgerlichen Gesellschaften abgenommen werden].

Dasselbe gilt in bezug auf die Umgestaltung der ganzen politisch-administrativen Staatsmaschine aus einem halb- oder ganzfeudalen in einen kapitalistischen Mechanismus. Diese Umgestaltung, die geschichtlich von der Demokratie unzertrennlich war, ist heute gleichfalls in so hohem Maße erreicht, daß die rein demokratischen Ingredienzien des Staatswesens, das allgemeine Stimmrecht[4], die republikanische Staatsform, gefahrlos[5] ausscheiden können, ohne daß die Administration, das Finanzwesen, das Wehrwesen etc. in die vormärzlichen Formen zurückzufallen brauchten.

Ist auf diese Weise der Liberalismus für die bürgerliche Gesellschaft[6] wesentlich überflüssig, so andererseits in wichtigen Beziehungen direkt ein Hindernis geworden. Hier kommen zwei Faktoren in Betracht, die das gesamte politische Leben der heutigen Staaten geradezu beherrschen: die

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[1] 2. Auflage: allgemeiner.

[2] 2. Auflage: demokratischen.

[3] 2. Auflage: , hat die wirtschaftliche Entwicklung.

[4] 2. Auflage: Wahlrecht.

[5] 2. Auflage: an sich.

[6] 2. Auflage: eingefügt „als solche“.