Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 410

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ten, die dartun soll, daß die Zahl der Aktionäre sich stets vergrößert, die Kapitalistenklasse also nicht zusammenschmilzt, sondern im Gegenteil immer größer wird. Es ist erstaunlich, wie wenig Bernstein das vorhandene Material kennt, und wie wenig er es zu seinen Gunsten zu gebrauchen weiß!

Wollte er durch Aktiengesellschaften etwas gegen das Marxsche Gesetz der industriellen Entwicklung beweisen, dann hätte er ganz andere Zahlen bringen sollen. Nämlich jedermann, der die Geschichte der Aktiengründungen in Deutschland kennt, weiß, daß ihr durchschnittlich auf eine Unternehmung fallendes Gründungskapital in fast regelmäßiger Abnahme begriffen ist. So betrug dieses Kapital vor 1871 etwa 10,8 Mill. Mark, 1871 nur noch 4,01 Mill. Mark, 1873 3,8 Mill. Mark, 1883-1887 weniger als 1 Mill. Mark, 1891 nur 0,56 Mill. Mark, 1892 0,62 Mill. Mark. Seitdem schwanken die Beträge um 1 Mill. Mark, und zwar sind sie wieder von 1,78 Mill. Mark im Jahre 1895 auf 1,19 Mill. Mark im I. Semester 1897 gefallen.[1]

Erstaunliche Zahlen! Bernstein würde wahrscheinlich damit gar eine ganze contra-Marxsche Tendenz des Übergangs von Großbetrieben zurück auf Kleinbetriebe konstruieren. Allein in diesem Falle könnte ihm jedermann erwidern: Wenn Sie mit dieser Statistik etwas nachweisen wollen, dann müssen Sie vor allem beweisen, daß sie sich auf dieselben Industriezweige bezieht, daß die kleineren Betriebe nun an Stelle der alten großen und nicht dort auftreten, wo bis jetzt nichts[2] oder gar Handwerk oder Zwergbetrieb war. Diesen Beweis gelingt es Ihnen aber nicht zu erbringen, denn der Übergang von riesigen Aktiengründungen zu mittleren und kleinen ist gerade nur dadurch erklärlich, daß das Aktienwesen in stets neue Zweige eindringt, und wenn es anfangs nur für wenige Riesenunternehmungen taugte, es sich jetzt immer mehr dem Mittelbetriebe, hie und da sogar dem Kleinbetriebe angepaßt hat. (Selbst Aktiengründungen bis 1 000 M Kapital herunter kommen vor!)

Was bedeutet aber volkswirtschaftlich die immer größere Verbreitung des Aktienwesens? Sie bedeutet die fortschreitende Vergesellschaftung der Produktion in kapitalistischer Form, die Vergesellschaftung nicht nur der Riesen-, sondern auch der Mittel- und sogar der Kleinproduktion, also etwas, was der Marxschen Theorie nicht widerspricht, sondern sie in denkbar glänzendster Weise bestätigt.

In der Tat! Worin besteht das ökonomische Phänomen der Aktiengründung? Einerseits in der Vereinigung vieler kleiner Geldvermögen zu

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[1] Van der Borght: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, I. [Fußnote im Original]

[2] 2. Auflage: das Einzelkapital.