Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 371

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Bekämpfung sucht, die letztere bloß als ihre Fortentwicklung hinstellt. Unbeirrt durch diese äußeren Formen muß man deshalb den in der Bernsteinschen Theorie steckenden Kern herausschälen, und dies ist gerade eine dringende Notwendigkeit für die breiten Schichten der industriellen Proletarier in unserer Partei.

Es kann keine gröbere Beleidigung, keine ärgere Schmähung gegen die Arbeiterschaft ausgesprochen werden als die Behauptung: theoretische Auseinandersetzungen seien lediglich Sache der „Akademiker“. Schon Lassalle hat einst gesagt: Erst wenn Wissenschaft und Arbeiter, diese entgegengesetzten Pole der Gesellschaft, sich vereinigen, werden sie alle Kulturhindernisse in ihren ehernen Armen erdrücken. Die ganze Macht der modernen Arbeiterbewegung beruht auf der theoretischen Erkenntnis.[1]]

Doppelt wichtig ist [aber] diese Erkenntnis für die Arbeiter [im gegebenen Falle], weil es sich hier gerade um sie und ihren Einfluß in der Bewegung handelt, weil es ihre eigene Haut ist, die hier zu Markte getragen wird. Die durch Bernstein theoretisch formulierte opportunistische Strömung in der Partei ist nichts anderes als eine unbewußte Bestrebung, den zur Partei herübergekommenen kleinbürgerlichen Elementen die Oberhand zu sichern, in ihrem Geiste die Praxis und die Ziele der Partei umzumodeln. Die Frage von der Sozialreform und der Revolution, vom Endziel und der Bewegung, ist von anderer Seite die Frage vom kleinbürgerlichen oder proletarischen Charakter der Arbeiterbewegung.

[Deshalb liegt es gerade im Interesse der proletarischen Masse der Partei, sich mit der gegenwärtigen theoretischen Auseinandersetzung mit dem Opportunismus aufs lebhafteste und aufs eingehendste zu befassen. Solange die theoretische Erkenntnis bloß das Privilegium einer Handvoll „Akademiker“ in der Partei bleibt, droht ihr immer die Gefahr, auf Abwege zu geraten. Erst wenn die große Arbeitermasse selbst die scharfe zuverlässige Waffe des wissenschaftlichen Sozialismus in die Hand genommen hat, dann werden alle kleinbürgerlichen Anwandlungen, alle opportunistischen Strömungen im Sande verlaufen. Dann ist auch die Bewegung auf sicheren, festen Boden gestellt. „Die Menge tut es.“

Berlin, 18. April 1899 Rosa Luxemburg]

[Wir veröffentlichen auf mehrfache Anregungen aus Parteikreisen als Broschüre in einem Sonderabdrucke die zwei in der „Leipziger Volkszeitung“ (Erste Folge: Nr. 219-225, 21.-28. September 1898, Zweite

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[1] Siehe Ferdinand Lassalle: Die Wissenschaft und die Arbeiter, Zürich 1887, S. 19.