Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 364

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wirkt auf die inneren gesellschaftlichen Verhältnisse der europäischen Länder zurück, indem sie die Reaktion stärkt, die Gegensätze zwischen Regierungen und herrschenden Klassen auf der einen und dem arbeitenden Volke auf der anderen Seite verschärft. Der mächtige industrielle Aufschwung, den die neuen Absatzgebiete in Asien hervorrufen, beschleunigt seinerseits in den alten europäischen Ländern den Untergang der Kleinproduzenten, die Proletarisierung. So wird ebenso wirtschaftlich wie politisch dem Klassenkampf ein kräftiger, frischer Luftzug eingehaucht.

Was aber an der ganzen gegenwärtigen Aufschwungsperiode das anziehendste und das wichtigste ist: sie ist aller menschlichen Voraussicht nach die letzte.

Mit der Aufteilung und Verschlingung Asiens bleibt dem europäischen Kapitalismus kein neues Gebiet zur Eroberung übrig, die Welt wird dann wirklich verteilt sein, und alles wird seinen Herrn haben. Über kurz oder lang wird auch die neue Orientfrage in dasselbe Stadium treten, in dem die alte erstarrte: Die europäischen Gegner werden sich Schritt für Schritt einander so weit nähern, daß sie schließlich Brust an Brust haltmachen müssen. Und die inzwischen wachgerufenen wirtschaftlichen und politischen Mächte: die hochentwickelte Großindustrie, der ungeheuere Militarismus, beginnen dann, ohne einen neuen Abflußkanal zu finden, mit der ganzen Wucht auf dein gesellschaftlichen Körper zu lasten. Wie lange die darauffolgenden mageren Jahre des Kapitalismus dauern werden, das wird wesentlich von dem Stand, von den Fortschritten der Arbeiterbewegung in den wichtigsten kapitalistischen Ländern abhängen. Denn sobald der ganze Erdball vom Kapitalismus umspannt ist – und dies wird mit der Aufteilung Asiens fast endgültig vollzogen –, sobald die internationalen wirtschaftlichen und politischen Gegensätze dadurch aufs höchste gesteigert sind, wird der Kapitalismus seinerseits am Ende seines Lateins angelangt sein. Er kann weiter nur noch vegetieren, solange sein Erbe, das sozialistische Proletariat, nicht reif genug ist, das geschichtliche Erbe anzutreten.

Angesichts der Schnelligkeit und des Heißhungers, mit denen sich das Kapital und seine politischen Werkzeuge auf Asien geworfen und binnen drei Jahren fast eines halben Weltteils bemächtigt haben, angesichts dieser noch nie dagewesenen Hast, mit der sich alle kapitalistischen Länder bei dem Auseinanderreißen des letzten fetten Bissens wie verhungernde Hunde um einen Knochen überstürzen, angesichts dieses weltgeschichtlichen Dramas von der „Verlangsamung“ der kapitalistischen Entwick-

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