Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 314

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/314

amerikanischen Union zum protektionistischen Zollsystem, ihre Weltmachtsgelüste, ihr Krieg mit Spanien[1], ihre Kolonialeroberungen, ihr gegenwärtiger Übergang zur Politik des Militarismus und Marinismus, auf der andern Seite der Rückgang der europäischen industriellen Ausfuhr nach Amerika, bald darauf der Beginn der industriellen Ausfuhr Nordamerikas nach den anderen Weltteilen und sogar nach Europa, im Zusammenhang damit der industrielle Rückgang Englands und die Erschwerung der Konkurrenz im Auslande für Deutschland – alles dies knüpfte sich aneinander in einer logischen Kette von Ursachen und Wirkungen. Die innige wirtschaftliche Verknüpfung der gegenwärtigen Kulturländer auf dem ganzen Erdball und der verschiedenen Seiten des gesellschaftlichen Lebens in jedem Lande durch das kapitalistische System tritt dabei in schlagender Weise zum Vorschein. Was aber vor allem bei diesem vielseitigen gesellschaftlichen Vorgang in die Augen springt, ist die erstaunliche Schnelligkeit, mit der sich der folgenreiche Prozeß der Verschiebungen in der kapitalistischen Weltwirtschaft gegenwärtig vollzieht. Gerade zu gleicher Zeit, wo in den Reihen der Sozialdemokratie skeptische Meinungen hörbar werden, als ob die kapitalistische Entwicklung sich nicht mit der von der Sozialdemokratie vorausgesetzten Schleunigkeit vollzöge, folgen in Amerika verschiedene Stadien dieser Entwicklung aufeinander mit einer so rasenden Hast wie noch nie zuvor seit dem Bestehen der kapitalistischen Wirtschaft. England hat zu seiner Entwicklung bis zur Beherrschung des Weltmarktes mehr als ein halbes Jahrhundert bedurft, Deutschland ist zum wichtigen Ausfuhrstaat erst in den letzten Jahren, ein Vierteljahrhundert nach der Inaugurierung seiner großindustriellen Periode, geworden. In Amerika ist die ganze Umwälzung binnen einem Jahrzehnt zustande gekommen. Die Entstehung der Großindustrie, Verdrängung der fremden Einfuhr, Überfüllung des eigenen Marktes, Kartellierung der Industrie und Eroberung einer Reihe fremder Märkte folgten aufeinander in überstürzender Hast. Ein kleines, aber typisches Beispiel, aus der Fülle der Tatsachen herausgegriffen, nämlich die von uns an dieser Stelle bereits erwähnte überraschende Entwicklung der Weißblechindustrie, mag dies illustrieren. Vor etwa 7 Jahren erst gegründet, erreicht dieser Industriezweig heute eine kolossale Ausdehnung. Über 300 Fabriken bestehen schon, eine Reihe neuer werden gegründet. Die fremde, hauptsächlich englische Produktion wird gänzlich verdrängt. Aber nicht genug damit. Das Gründungsfieber in der Weißblechfabrikation der Vereinigten Staaten führt binnen wenigen Jahren zur

Nächste Seite »



[1] Im Ergebnis des spanisch-amerikanischen Krieges von April bis Dezember 1898, des ersten imperialistischen Krieges um die Neuverteilung der Welt, verstärkten die USA ihren Einfluß in Lateinamerika, erweiterten ihr Kolonialreich durch Kuba, Puerto Rico und Guam und eroberten mit den Philippinen eine strategisch wichtige Militärbasis in Ostasien.