Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 300

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Die heutige Umwälzung in den Lebensbedingungen der Vereinigten Staaten kommt nun nicht aus der Pistole geschossen. Der politische Sprung des Krieges war durch langsame, unmerkliche ökonomische Verschiebungen vorbereitet, die Revolution in den politischen Verhältnissen realisiert durch eine vorhergehende stille kapitalistische Entwicklung des letzten Jahrzehnts. Die Vereinigten Staaten sind zum industriellen Ausfuhrstaat geworden.

Unser Export – sagt der Schatzsekretär Mr. Gage in seinem dreijährigen Bericht – beträgt 246 297 000, der Import nur 123 210 000 Pfund Sterling (1 Pfd. Sterling = 20 Mark). „Zum erstenmal in der Geschichte unseres Handels“, konstatiert er mit Stolz, „war die Ausfuhr unserer Manufakturerzeugnisse größer als die Einfuhr fremder!“ Dieser rapide kapitalistische Aufschwung war es, der ebenso die Begeisterung für den Annexionskrieg mit Spanien wie auch die Mittel zur Deckung seiner Kosten geschaffen hatte. Über diese Dialektik ihrer Geschichte ist sich auch die amerikanische Bourgeoisie völlig klar.

Das Streben zum Weltmarkt, schreibt das New-Yorker „Banker´s Magazine“, hat längst das Bedürfnis nach a strong foreign policy (einer starken äußeren Politik) erzeugt. Die Union mußte a world power (eine Weltmacht) werden.

War auch die Explosion der „Maine“ ein Zufall, der Krieg mit Spanien war es keineswegs. Und die heutige Weltpolitik der Vereinigten Staaten noch weniger.

Wir, die wir mit Goethe finden, daß alles, was besteht, wert ist, daß es zugrunde geht, und mit gespanntem Blick den Stand der gegenwärtigen Ordnung beobachten, wir können nur mit dem Gange der Dinge in Amerika zufrieden sein.

Die Geschichte hat ihrem Renner kräftig die Sporen in die Flanken gedrückt, und er hat einen tüchtigen Sprung vorwärts gemacht. Uns ist aber ein frischer fröhlicher Galopp immer lieber als ein schläfriger Trab. Um so rascher gelangen wir ans Ziel.

Wie komisch nimmt sich aber angesichts dieser gewaltigen Umwälzungen auf der anderen Hemisphäre, die einen neuen Wetterwinkel erschütternder politischer und ökonomischer Orkane geschaffen haben, das superkluge Räsonnement derjenigen aus, die da auf Grund eines Jahrzehnts deutscher Statistik der Welt verkünden, nun sei der Bestand der kapitalistischen Ordnung für unabsehbare Zeit gesichert, ihr Bau ruhe auf einem schier unerschütterlichen Felsen. Gleichsam ein Frosch erklärt, einen Winkel des schlammigen Teiches mit glotzigem Auge musternd, die Erdkugel

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