Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 27

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/27

herausgibt.[1] Nun sehen wir hier alle unsere oben gezogenen Schlüsse in prägnantester Weise bestätigt.

Die galizischen Sozialisten suchen der Hauptparteiaktion, der Maifeier, einen spezifisch polnischen Charakter aufzudrücken und grenzen sich so in dieser Hauptaktion von der österreichischen Gesamtpartei ab. Sie suchen ferner der Maifeier einen allgemein polnischen, einen von den so verschiedenen dreierlei politischen Verhältnissen unabhängigen Charakter zu verleihen und somit das gemeinsame nationale Moment in den Vordergrund, das verschiedene politische Moment in den Hintergrund zu drängen. Besonders bezeichnend ist das für Österreich, wo doch die Maifeier einen so vorwiegend politischen Charakter hat und haben muß und wo ihr angesichts der politischen Rechtlosigkeit der Massen eine so außerordentliche politische Bedeutung zukommt.

Wie kann aber in der Praxis eine solche von der galizischen Konferenz beschlossene Maiagitation aussehen? Soll in der betreffenden Maifestschrift an den Achtstundentag und vor allem an das allgemeine Wahlrecht – wie in ganz Österreich – appelliert werden? Offenbar nein, denn diese letztere Losung hätte gar keinen Sinn für Russisch- und Preußisch-Polen, für welche die Schrift auch bestimmt ist. Wird man an die Wiederherstellung Polens appellieren? Aber dann nimmt die galizische Partei eine ganz separatistische politische Stellung in Österreich ein. Wird am Ende nur der Achtstundentag gefordert werden? Dann wird die Maifeier jeder politischen Bedeutung überhaupt beraubt! Wir schließen hier natürlich den Fall aus, daß die fragliche Schrift nur eine einfache Zusammenfassung von drei unabhängigen Teilen für Russisch-, Preußisch- und Österreichisch-Polen mit dreierlei politischen Forderungen darstellen würde, denn die Belastung der Maifestschrift mit einem Agitationsmaterial, das nur für die beiden übrigen polnischen Länder Bedeutung hat, würde die Maiagitation in Galizien in solchem Maße erschweren, daß dieser Umstand der Aufmerksamkeit des Kongresses unmöglich entgehen konnte. Und da noch von der Broschüre speziell verlangt wird, daß sie auf das allen polnischen Arbeitern gemeinsame nationale Moment besonders Gewicht legt[2], so wird damit in

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[1] Siehe den Bericht des galizischen Parteiorgans „Naprzód“, abgedruckt in dem „Przedświt“, 1895, Nr. 10 u. 11. Desgleichen die galizische Korrespondenz in „Le Socialiste“, organe du parti ouvrier, Nr. 41 vom 12. Januar 1896. [Fußnote im Original]

[2] Siehe die Rede von Daszynski in dem Bericht des Krakauer „Naprzód“: „Das polnische Proletariat hat die Bedeutung der Maifeier gebührend zu schätzen gewußt, die tue dasselbe noch diese Bedeutung hat, daß sie es in ein einziges Ganzes vereinigt. Die polnischen Arbeiter der drei Teile Polens empfinden an diesem Tage tiefer als je ihre Zusammengehörigkeit. Daher muß die Maifestschrift so redigiert werden, daß sie uns gerade diese Seite der Feier vor die Augen führt, sie muß daher auch für alle Polen gemeinsam sein!“ Abgedruckt im Londoner „Przedświt“, Nr. 10 u. 11, Jg. 1895. Siehe auch den Pariser „Socialiste“ vom 12. Januar 1896. [Fußnote im Original]