Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 247

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die Schädlichkeit des internationalen Zollkriegs für die Verbrüderung der Arbeiterschaft verschiedener Nationen. Alle die aufgezählten Tatsachen können nun aber bloß Zweckmäßigkeitsgründe unserer Opposition gegen die Schutzzölle sein, eine grundsätzliche Stellungnahme läßt sich aus ihnen noch gar nicht ableiten; ja noch mehr, die Resolution begründet unsere Haltung in der Zollfrage eigentlich durch bloße Begleiterscheinungen des Schutzzolles – Verteuerung der Lebensmittel, Kartellwesen, Stärkung des Militarismus, Störung der Internationalität –, während eine prinzipielle Richtschnur für unser Verhalten zu der Frage nur im Wesen des Schutzzolles selbst liegen und nur aus diesem Wesen heraus abgeleitet werden kann. Und diese Seite der Frage liegt in einer Eigenschaft des Schutzzolles, die in der Begründung der Resolution Kautsky nicht hervorgehoben wurde, nämlich in seinem reaktionären Charakter vom Standpunkt der allgemeinen kapitalistischen Entwicklung. Wie die Dinge in dem heutigen Stadium des internationalen Kapitalismus liegen, dient das Zollsystem nicht mehr zur Förderung der industriellen Entwicklung, sondern bloß zur Sicherung einer bestimmten Höhe des Unternehmerprofits, einer bestimmten Profitrate gegen die freie Konkurrenz des Auslandes. Durch diesen Schutz wirken aber die Zölle auf die Industrie selbst hemmend, indem sie mit den hohen Profiten auch rückständige Produktionsmethoden in den betreffenden Ländern künstlich konservieren, so den ganzen Gang der kapitalistischen Entwicklung verlangsamen und auf diese Weise namentlich auch den Augenblick des Zusammenbruches der heutigen Wirtschaft, damit auch unseren Sieg hinausschieben. Nur in diesem allgemeinen reaktionären Charakter des Schutzzolles liegt der Grund, weshalb die Sozialdemokratie prinzipiell gegen alle Schutzzölle sich erklären muß. Gerade diese Seite der Frage ist in der Resolution Kautsky nicht hervorgehoben; sie beschränkt die Begründung unserer Zollpolitik auf die Tagesinteressen der Arbeiter, während eine grundsätzliche Politik stets nur durch den Zusammenhang der gegebenen Frage mit unseren Endzielen begründet werden kann. Freilich, im Punkt 3 sagt die Resolution Kautsky: „daß die deutsche Industrie weit genug entwickelt ist, um des Zollschutzes entraten zu können“[1], und darin wird schon einigermaßen die Tatsache konstatiert, daß der Schutzzoll von der Entwicklung der Industrie überflügelt worden ist; das ist aber erstens nur die halbe Wahrheit, die andere viel wichtigere Tatsache ist, daß das Zollsystem jetzt, umgekehrt, für die Entwicklung der

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[1] Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Stuttgart vom 3. bis 8. Oktober 1898. Berlin 1898. S. 68.