Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 230

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sellschaftlichen Lebensprozeß, zur Verkörperung unserer allgemeinen Prinzipien im praktischen alltäglichen Tun.

Und nur unter dieser Bedingung kämpfen wir auch in einzig zulässiger Weise für das jederzeit „Mögliche“. Sagt man aber: Wir wollen unsere Zustimmung zu militaristischen oder zollpolitischen Maßnahmen gegen politische oder sozialreformerische Konzessionen austauschen, dann bringt man die Grundsätze des Klassenkampfes augenblicklichen Erfolgen zum Opfer, und dann steht man eben auf dem Boden des Opportunismus. Der Opportunismus ist übrigens ein politisches Spiel, bei dem man doppelt verliert: nicht nur die Grundsätze, sondern auch den praktischen Erfolg. Die Annahme beruht nämlich auf einem völligen Irrtum, daß man auf dem Wege der Konzessionen die meisten Erfolge erzielt. Die Schlausten sind auch hier, wie in allen großen Dingen, die Klügsten nicht. Bismarck hat einmal einer bürgerlichen oppositionellen Partei gesagt: Ihr macht euch jeden praktischen Einfluß selbst unmöglich, wenn ihr immer und von vornherein mit einem Nein kommt. Der Alte war darin, wie so oft, klüger als seine Pappenheimer. In der Tat, eine bürgerliche Partei, das heißt eine Partei, die zur bestehenden Ordnung im ganzen Ja sagt, die aber zu den tagtäglichen Konsequenzen dieser Ordnung Nein sagen will, ist ein Zwitterding, ein Gebilde, das weder Fleisch noch Fisch ist. Ganz umgekehrt liegen die Dinge bei uns, die wir in grundsätzlichem Gegensatz zu der ganzen gegenwärtigen Ordnung stehen. Bei uns liegt in dem Nein, in der unversöhnlichen Haltung unsere ganze Kraft. Diese Haltung ist es, die uns die Furcht und die Achtung der Feinde, das Vertrauen und die Anhängerschaft des Volkes erwirbt. Nur weil wir keinen Schritt von unserer Position weichen, zwingen wir die Regierung und die bürgerlichen Parteien, uns das wenige zu gewähren, was an unmittelbaren Erfolgen zu erringen ist. Fangen wir aber an, im Sinne des Opportunismus „dem Möglichen“ unbekümmert um die Prinzipien und auf dem Wege staatsmännischer Tauschgeschäfte nachzujagen, so gelangen wir bald in die Lage des Jägers, der das Wild nicht erlegt und zugleich die Flinte verloren hat. Nicht vor Fremdwörtern: Opportunismus, Possibilismus, graut es uns, wie Heine meint, es graut uns vor ihrer Verdeutschung in unserer Parteipraxis. Mögen sie für uns lieber Fremdwörter bleiben, und mögen die Genossen sich vor der Rolle des Dolmetschers im gegebenen Falle hüten.

Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden),
Nr. 227 vom 30. September 1898.

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