Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 174

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lichen Teile Rußlands und Asien – viel näher gelegen ist als Polen. Jedoch die Vorteile, welche wir auf polnischer Seite in allen Branchen finden: tüchtigere Arbeitskraft, billigeres Heizmaterial, höhere Technik des Produktionsprozesses und des Handels, dürften u. E. zu einem Vielfachen die Vorteile der russischen Industrien aufwiegen. Denn alle die aufgezählten Momente haben eine konstante Bedeutung, ja werden mit jedem Tag mehr ausschlaggebend im Konkurrenzkampf. Wie sehr heute schon die Bedeutung der Absatzentfernungen gegenüber der technischen Überlegenheit der Industrie in den Hintergrund tritt, bewies neulich das überraschende Umsichgreifen des deutschen Absatzes in England, ja in den englischen Kolonien. Innerhalb eines und desselben Zollgebietes hängt selbstverständlich der Ausgang des Wettkampfes auf dem Warenmarkt in noch viel höherem Maße von der Entwicklungsstufe der Produktion ab, d. h. von demjenigen Momente, welches die polnische Industrie auf ihrer Seite hat. Dies bestätigt auch u. a. die Tatsache, daß z. B. die polnische Eisenindustrie, trotz dem erwähnten relativen Mangel an natürlichen Vorteilen, der südrussischen im Süden Rußlands selbst eine arge Konkurrenz bereitet und daß sie sich neben der südrussischen auf Kosten aller andern Rayons des Reiches entwickelt.[1] Außer dem polnischen bildet auch der St.-Petersburger Industrierayon ein fortschrittlicheres, technisch ziemlich hochentwickeltes Produktionsgebiet Rußlands, und es liegt für Polen ein besonders günstiger Umstand ebendarin, daß es auf den wichtigsten Absatzgebieten gerade mit dem Moskauer Rayon in Wettkampf tritt, welcher den zurückgebliebensten Industrierayon Rußlands bildet und mit seiner langen Arbeitszeit, niedrigen Löhnen, dem Trucksystem, der Kasernierung der Arbeiterschaft, enormen Vorräten an Rohstoffen, kurz, mit seiner ökonomischen Rückständigkeit, im ganzen Reiche allein dasteht.

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[1] „Es sind also alle Produktionsbedingungen für Rußland günstiger als für Polen.“ Diesen verkehrten Schluß zieht der Verfasser der „Industriellen Politik …“ (Neue Zeit, l. c., S. 791) aus seinen in allen Punkten verkehrten Angaben über die Produktionsverhältnisse Polens und Rußlands, bei welchen er die zwei Kleinigkeiten – das Heizmaterial und die Produktionstechnik – gänzlich vergessen hat. Da es aber eine nicht wegzuleugnende Tatsache ist, daß polnische Waren in Wirklichkeit die russischen aus dem Felde schlagen und somit die Behauptung von „allen ungünstigeren Produktionsbedingungen“ mit einem Schlag über den Haufen geworfen wird, so hilft sich der Verfasser aus der Verlegenheit durch den Hinweis auf die persönlichen Eigenschaften des polnischen Fabrikpersonals. „Die einzige (!) Ursache dieser Sachlage ist eine größere kommerzielle Gewandtheit der polnischen Fabrikanten und speziell ein besser ausgebildetes höheres Fabrikpersonal, das hauptsächlich aus Deutschen und Österreichern besteht.“ [Hervorhebung – R. L.] (l. c.) Der Verfasser weiß offenbar nicht, daß wir in einem Zeitalter leben, wo auf dem kapitalistischen Schlachtfelde die Dampfkraft entscheidet, und daß es vor dem Antlitz des Gottes Merkur keine auserwählten Völker gibt. [Fußnote im Original]