Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 128

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genden Wirkung des Aufstandes von 1864[1] und des dadurch zeitweilig lahmgelegten Verkehrs mit Rußland hatte das Jahrzehnt 1860–1870, die Periode der technischen Revolution in den Verkehrsmitteln, zur Folge, daß, während der Gesamtwert der industriellen Produktion Polens im Jahre 1857 nur 31 Millionen Rubel (nach einer anderen Quelle 21) betrug, er im Jahre 1872, also nach 15 Jahren, schon 73 Millionen Rubel (nach beiden Quellen) darstellte – eine Vermehrung um 135 % resp. um 248 %.[2]

Das dritte Moment, welches zur industriellen Umwälzung beigetragen hat, war die Abschaffung der Hörigkeit in Rußland 1861 und in Polen 1864 und die dadurch hervorgerufene Umwälzung der Landwirtschaft. Von nun an der unentgeltlichen Arbeitskräfte der Fronbauern beraubt, waren auch die Grundbesitzer auf die Anstellung von Lohnarbeitern und auf den Ankauf von Produkten der Industrie, die sie früher vielfach auf den eigenen Fronhöfen hatten verfertigen lassen, angewiesen. Auf der anderen Seite bekam dadurch die große Bauernmasse Geld in die Hand und wurde ebenfalls Käufer für Fabrikerzeugnisse. Im Zusammenhang damit steht eine Reform im Steuerwesen und der Anfang jener Erpressungspolitik der Regierung der russischen Bauernschaft gegenüber, die auch den Kleinbauern mit seinem Arbeitsprodukt gewaltsam auf den Warenmarkt treibt und, indem sie die ländliche Naturalwirtschaft immer mehr zersetzt, in demselben Maße für die Geldwirtschaft und den Massenabsatz von Fabrikaten den Boden bereitet. Die andere Folge der Reform war die Proletarisierung breiter Bauernschichten, also die „Freisetzung“ einer Masse von Arbeitshänden, welche sich der Industrie zur Verfügung stellten.

So sehen wir in Rußland im Anschluß an den Krimkrieg eine Umwälzung in allen sozialen Verhältnissen sich vollziehen. Der Zusammenbruch des alten Patrimonialgrundbesitzes und der Naturalwirtschaft, die Reformierung des Steuer- und Finanzwesens, die Errichtung eines ganzen Netzes von Eisenbahnen – alles dies bedeutete für die Industrie Rußlands die Schaffung von Absatzmärkten, Absatzkanälen und Arbeitshänden. Da aber Polen seit der Aufhebung der Zollgrenze im Jahre 1851 handelspolitisch mit Rußland ein Ganzes bildete, so wurde auch die polnische. Manufaktur in den großen Strudel der ökonomischen Umwälzung Rußlands hineingezogen und von dem rasch wachsenden Massenabsatz in eine wirkliche Fabrikindustrie verwandelt.

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[1] Eine Welle von Bauernerhebungen 1860/61 führte zum Volksaufstand vom 22. Januar 1863 im Königreich Polen, in Litauen, Belorußland und Teilen der Ukraine gegen nationale und soziale Unterdrückung, der 1863/64 blutig niedergeschlagen werden konnte, weil keine nationale Führung bestanden hatte.

[2] G. Simonenko: Vergleichende Statistik des Königreichs Polen, S. 127. - W. Załẹski, I. c., S. 172 u. 223. [Fußnote im Original]