Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 126

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Es waren vier wichtige Faktoren, welche in der erwähnten Übergangsperiode die polnische Industrie revolutioniert haben.

Erstens die Abschaffung der Zollgrenze zwischen Rußland und Polen. Im Jahre 1851 wurden die Zollverhältnisse Polens nach zwei Richtungen umgestaltet. Einerseits wurde die Zollgrenze, welche es bis dahin von Rußland trennte, beseitigt, andererseits der selbständigen Handelspolitik Polens nach außen hin ein Ende gemacht und Polen in das allgemeine russische Zollgebiet aufgenommen.[1] Auf diese Weise bildet Polen seither in handelspolitischer Beziehung ein einziges Ganzes mit Rußland.[2] Für Polen lag zunächst die große Bedeutung der Zollreform von 1851 darin, daß ihm nun eine vollständig freie Warenausfuhr nach Rußland ermöglicht wurde. Die polnische Manufaktur bekam so die Aussicht, für einen größeren Massenabsatz zu produzieren, die engen Schranken des inneren Marktes zu überschreiten und zur wirklichen Fabrikindustrie zu werden. Diese Erscheinungen konnten jedoch erst nach einer längeren Frist eintreten. In dem Augenblicke, wo die Zollschranke zwischen Polen und Rußland beseitigt wurde, standen noch drei wichtige Hindernisse einer wirklichen Massenausfuhr der polnischen Fabrikate nach Rußland im Wege: Erstens besaß die Manufaktur in Polen, da sie bis dahin vorwiegend den Anforderungen des inneren Marktes angepaßt war, noch nicht diejenige Fähigkeit einer raschen, sprungweisen Erweiterung, die eine große Fabrikindustrie in so hohem Maße charakterisiert. Zweitens waren keine modernen Verkehrsmittel zwischen Polen und Rußland vorhanden, drittens hatte auch in Rußland der innere Absatzmarkt für Fabrikate beschränkte Dimensionen, was durch das Bestehen der Leibeigenschaft und der Naturalwirtschaft bedingt war. In allen diesen Verhältnissen tritt nun aber auch bald eine vollständige Umwälzung ein.

Schon der Krimkrieg wirkte auf die polnische ebenso wie auf die russische Manufaktur revolutionierend ein. Die Blockade der Seegrenzen Rußlands unterbrach zum großen Teil die Zufuhr ausländischer Waren, zum anderen Teil richtete sich dieselbe nach der westlichen Landgrenze, nach Polen, welches zum Wege eines lebhaften Transithandels wurde. Wichtiger war aber die durch den Bedarf der russischen Armee geschaffene Massennachfrage, vor allem nach Produkten der Textilindustrie. Das Wachstum

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[1] K. Lodyshenski, l. c., S. 252. [Fußnote im Original]

[2] Die Zollvereinigung mit Polen hat eine Neuerung in dem russischen Zollsystem, den sog. differentiellen Zolltarif, zur Folge gehabt. Da nämlich Polen bis dahin eine bedeutend mehr freibändlerische Politik als Rußland Westeuropa gegenüber befolgte, so wurde auch bei der Ausdehnung der russischen Zollgrenze auf Polen eine Unterscheidung zwischen der See- und der Landgrenze gemacht, wobei für die letztere niedrigere Tarife festgesetzt wurden. [Fußnote im Original]