Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 110

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den Kampf der Arbeiterklasse. Der Übergang des ganzen bürgerlichen Polens zur aktiven russischen Politik überträgt sozusagen erst das absolute Regime nach Polen. Bis jetzt konnte, dank der politischen Abstinenz und dem passiven Verhalten der polnischen Gesellschaft, der Absolutismus in Polen als etwas rein Zufälliges, nur durch die Annexion Bedingtes erscheinen. Indem das bürgerliche Polen in politischer Hinsicht russisch wird und die polnische Gesellschaft sozusagen in den Absolutismus hineinwächst, hört der Absolutismus auf, nur russisch zu sein, er wird auch zum polnischen Absolutismus. Damit wird die agitatorische Aufgabe der Sozialdemokratie in bezug auf den politischen Kampf bedeutend erleichtert: Die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes des polnischen mit dem russischen Proletariat, um den gemeinsamen Absolutismus zu stürzen und konstitutionelle Freiheiten im Reiche zu erringen, wird klar bis zur Evidenz.

Die Umarmungen des polnischen Adels mit dem Zarentum werden eine andere wichtige Folge nach sich ziehen. Die Regierung kann nicht die mindeste Gunst dem Adel erweisen, ohne – wie es die bereits vorliegenden Projekte dartun – dem Bauerntum gleichzeitig ins Fleisch zu schneiden. Beginnt aber der Adel einmal im Namen des Zarismus den Bauern zu schinden, dann ist es mit der alten Fabel vom „Zaren-Bauernbefreier“ in Polen zu Ende. Wenige Jahre der neuen Adelswirtschaft genügen dann, um den ganzen Groll des getäuschten Glaubens in einen fanatischen Zarenhaß und die heutige Stütze der Alleinherrschaft eventuell in eine kräftige Stütze des kämpfenden Proletariats zu verwandeln.

Das traurige Ende des kleinbürgerlichen Nationalismus kommt ebenfalls der Arbeiterklasse zugute. Es ist immer für den durch und durch modernen, jugendfrischen Klassenkampf des Proletariats von fataler Bedeutung, wenn er in der Ideologie der Gesellschaft auf Überbleibsel abgelebter Kämpfe, auf allerlei Vermächtnisse vom Großvater und der Urgroßtante stößt, welche nicht leben und nicht sterben können. Nach den tödlichen Wunden, welche die letzten Ereignisse dem Nationalismus in Polen schlagen, werden die besseren Elemente aus dem Kleinbürgertum und der Intelligenz, die bis jetzt an den alten Überlieferungen laborierten, von denselben ablassen und sich dem Kampfe des Proletariats zuwenden. Den Nationalismus vor dem Untergang zu retten und das von der kapitalistischen Entwicklung jetzt an Rußland gefesselte Polen zu befreien, vermag die Arbeiterklasse in den gegebenen Verhältnissen ebensowenig, wie sie z. B. den Untergang des Kleinbetriebs und andere Folgen des kapitalistischen Prozesses verhindern kann. Indem sie aber um auto-

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