Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 101

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Nationalismus treu geblieben. Indem aber der Schwanz der nationalen Armee zum Ganzen geworden, mußte das nationale Programm selbst, den Kräften in der neuen Sachlage entsprechend, auf ein kümmerliches Schwänzchen zusammenschrumpfen. Es zerrann immer mehr zu einer passiven Oppositionsstimmung, in der ein rein moderner Zug Oberhand gewann – der Antisemitismus. Unfähig, ein eigenes Aktionsprogramm aufzustellen, ruft das Kleinbürgertum die katholische Kirche zur Rettung herbei. Aus der katholischen Kirche antwortet ihm aber spöttisch die Enzyklika Leos XIII. (1894)[1], daß man auch im Himmel alle Hoffnung auf die Wiederherstellung Polens bereits aufgegeben und daß nunmehr die russische Knute die echte Vertreterin Gottes in Polen sei. Noch weniger Beachtung brauchte die Bourgeoisie den nationalen Anwandlungen eines Teiles der bürgerlichen Intelligenz zu schenken. Diese Schicht – Fleisch von ihrem Fleische und Blut von ihrem Blute – hat es bald fertiggebracht, den separatistischen Nationalismus der früheren Epoche in sein direktes Gegenteil zu verwandeln. Indem sie ihn auf die Opposition gegen die Russifizierung und die Verdrängung des polnischen Elements vom Staatsdienst reduziert, hat sie erklärt, daß es ihr nicht auf die Beseitigung der russischen Herrschaft, sondern auf die häusliche Einrichtung unter der russischen Herrschaft, d. h. auf die ungehinderte Ausnutzung der bürgerlichen Entwicklung in Polen, ankommt.

Die Umwälzung der inneren Klassenverhältnisse war somit vollendet. Das Programm der „organischen Arbeit“ hatte seine Arbeit getan, es konnte gehen. Jetzt durfte die kapitalistische Bereicherung durch russische Märkte nicht mehr als Mittel zur Wiedergeburt Polens, sondern als Selbstzweck erscheinen. Die Runkelrübe und der Schnaps sind jetzt auch an sich verlockend genug. Jetzt erst, gegen Ende der achtziger Jahre, ward die Bereicherung sans gêne et sans phrase zur Losung. Und damit hat sich die ganze äußere Physiognomie der Gesellschaft verändert. Die durch Servitutenstreitigkeiten zugespitzten Verhältnisse auf dem Lande fegten die Farce der Klassenversöhnung weg. Die Begeisterung für den Positivismus und Darwinismus haben einer stupiden, selbstzufriedenen Gleichgültigkeit für alle Wissenschaft, die nicht die der Plusmacherei ist, Platz gemacht – die Gesellschaft hat ihre Verwandlung von einer Art in die andere durchgemacht und braucht sich nicht mehr für die „Entstehung der Arten“. Zu

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[1] In der Enzyklika „Caritatis Providentiaeque Nostrae“ Papst Leos XIII. vom 19. März 1894 nahm die katholische Kirche zur nationalen Frage Polens Stellung. Das polnische Volk wurde aufgefordert. seinen Herrschern, insbesondere dem russischen Zaren, Ergebenheit, Liebe und Treue zu bezeigen. statt für nationale Unabhängigkeit zu kämpfen.